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Kleine Monster

Erzählungen von Caio Fernando Abreu

Ich gebe zu, Caio Fernando Abreu zählt zu meinen ganz frühen brasilianischen Favoriten. Kennengelernt habe ich den Kult-Autor seinerzeit durch den 2008 in Brasilien verfilmten »Low-Budget-Roman« »Was geschah wirklich mit Dulce Veiga«, 1994 in der Übersetzung von Gerd Hilger bei Edition diá erschienen, 1997 noch einmal als Taschenbuch bei dtv aufgelegt und nun, wieder bei diá als e-book erhältlich. Dass man sich dort nun die Mühe gemacht hat, den 1996 gestorbenen Autor mit einer Zusammenstellung von Kurzgeschichten noch einmal wiederzubeleben, freut mich ungeheuer. Schade, dass diá nur noch elektronisch publiziert, aber da muss man durch. Ich erinnere mich noch, wie ich Anfang der 1990er Jahre einen CD-Spieler kaufte, um Madredeus hören zu können. Vielleicht ist Caio Fernando Abreu nun der Anlass, sich ein elektronisches Lesegerät zuzulegen.

Die Erzählungen, die Gerd Hilger für »Kleine Monster« ausgewählt hat, sind sinnlich, romantisch und wild verzweifelt. Sie atmen den Geist der achtziger Jahre, die auch und gerade in Brasilien eine Zeit der Umbrüche waren. Sie erzählen von zaghaften, dramatischen Coming-outs, von vergangener und brutal abgebrochener Liebe, von Gewalt und von Wahnsinn, wie in »Karnevalsdienstag« eine ganz normale Romanze am Strand, die nichts als purer Sex hätte sein können, aus dem Nichts von einer homophoben Schlägerbande getötet wird. So etwas nimmt einem beim Lesen den Atem, genau wie die Verzweiflung des verlassenen Erzählers in »Ohne Ana, Blues«: 

Und darum fühle ich mich jetzt für immer wie eine Seifenblase ohne jeden Schimmer, die mitten im Wohnzimmer in der Luft hängt und wartet, dass eine Windbö durchs offene Fenster hereinkommt und sie davonträgt, weg von diesem Ort, sie mitnimmt, diese dumme Seifenblase, oder dass jemand mit einer Nadel in sie hineinsticht, damit sie platzt, ganz plötzlich, in diesem bläulichen Licht, das eher wirkt wie das Innere eines Aquariums, und verschwindet, ohne auch nur die geringste Spur zu hinterlassen.

Das Gros der Erzählungen stammt aus dem legendären Band »Os dragões não conhecem o paraíso« von 1988, die anderen aus dem nicht weniger legendären »Morangos mofados« von 1982. »Eine Geschichte mit Schmetterlingen« stammt aus 1977 und wurde erstmals 1988 in der DDR für die »Erkundungen«-Reihe von Erhard Engler ins Deutsche übersetzt. Auch die Texte aus »Morangos mofados« erschienen bereits hier und da in Anthologien. Nur »August und danach« ist bereits aus den Neunzigern und tematisiert als einziger die Aids-Erkrankung des Autors, an der er 1996 sterben sollte:

Es wurde beinahe hell, als sie sich lange umarmten im Auto, das natürlich ein Simca sein musste. Wie in den fifties, lachten sie. Am Morgen von Yemanjá warf er weiße Rosen in die siebte Welle, dann ging er allein weg. Sie machten keine Pläne.

Mein persönlicher Favorit ist »An der Grenze«, (aus Morangos mofados), ein Weg durch den Regen, eine billige Flasche Kognak an die Brust gedrückt (…) und eine feuchte Schachtel Zigaretten in der Tasche, Sehnsucht und Verzweiflung und Liebe die sich vielleicht nicht erfüllt.

Ja, Caio Fernando Abreu ist irgendwie ziemlich »eighties«, und er beweist, dass auch diese Epoche das Zeug zu einer klassischen hat. Und wenn die brasilianische Literatur weiterhin unter dem selbst erhobenen wie von außen herangetragenen Anspruch leidet, exotisch zu sein und Klischees zu bedienen, so könnte die Prosa des Caio Fernando Abreu auch ein Schlüssel zu dem sein, was später (bzw. heute) Autoren wie João Paulo Cuenca oder auch Carola Saavedra tun: Auf das Klischee von Brasilien pfeifen, andere,eigene Klischees, andere Bilder schaffen (nicht dagegensetzen), Liebe, Sinnlichkeit und Verzweiflung, die Triebfedern der Seele, von Schauplätzen lösen, zu Schauplätzen machen:

Plötzlich begann er wunderschön zu tanzen und kam langsam auf mich zu. Er schaute mir in die Augen, beinahe lächeln, eine steile Falte zwischen den Augenbrauen. (…) Ich stimmte zu, beinahe lächelnd, den Mund klebrig von dem vielen lauwarmen Bider, dem Wodka mit Coca-Cola, dem einheimischen Whisky, Geschmacksrichtungen, die ich nicht mehr unterschied, und die in Plastikbechern von Hand zu Hand gingen …

mk, 02.12.2015

Caio Fernando Abreu: Kleine Monster. Edition diá, 2015

Caio Fernando Abreu:
Kleine Monster.
Erzählungen
Ausgewählt und mit einem Nachwort von Gerd Hilger
Übersetzt von Marianne Gareis, Gerd Hilger, Maria Hummitzsch, Gaby Küppers und Gotthardt Schön
E-book. Edition diá, Berlin 2015

ebenfalls lieferbar:

Was geschah wirklich mit Dulce Veiga?
Übers.: Gerd Hilger
Edition diá, 1994
Ebook: Edition diá, 2013


Caio Fernando Abreu auf Portugiesisch:

Morangos Mofados
Nova Fronteira, 2015

Os dragões não conhecem o paraíso
Nova Fronteira, 2014

Ovelhas negras
L&PM, 2002

Onde andará Dulce Veiga?
Quetzal 2012


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