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40 Jahre – »Glanz und Enttäuschung«

Angola entdecken! Eine Anthologie

»Glanz und Enttäuschung« ist der Titel der letzten Erzählung dieser sorgfältig zusammengestellten und großartig übersetzten Anthologie angolanischer Texte, die Barbara Mesquita im Sommer bei Arachne veröffentlicht hat. In der Erzählung von João Melo geht es um einen Guerillakämpfer, der sich (für seine Umgebung nicht nachvollziehbar) weigert, den Gang der Geschichte mitzugehen und nach dem Sieg der Revolution tief ins Geschäft mit Korruption und Macht einzusteigen. Ein Idealist, wie es sie auch unter den Schriftstellern Angolas noch gibt, hin und hergerissen zwischen Loyalität zu den früheren Kampfgefährten und der zu den früher gemeinsamen Werten. Pepetela ist so ein Fall, der sich als ehemaliger Freiheitskämpfer früh kritisch und oft ironisch mit dem real- und postsozialistischen Gang der Verhältnisse auseinandergesetzt hat. João Melo war jahrzehntelang Parlamentsabgeordneter der ewigen Regierungspartei MPLA, und nimmt doch als einer der besten und witzigsten Erzähler seines Landes selten ein Blatt vor den Mund. Die jüngere Generation, nach der Unabhängigkeit erst zur Welt gekommen und in Absurdistan bereits aufgewachsen, hat wiederum eine ganz andere Distanz oder Nähe zum nach vierzig Jahren nun nicht mehr ganz neuen Angola.

Ein kurzer Exkurs: Dass in Luanda derzeit eine Gruppe von Oppositionellen vor Gericht steht, denen vorgeworfen wird, mit der Lektüre von Domingos da Cruz und Gene Sharp einen Staatsstreich vorzubereiten, und der Richter nun angeordnet hat, jene Bücher zum Beweis laut im Gerichtssaal zu lesen, zeigt, wie nahe sich auch unter absurden Verhältnissen Literatur und das Leben sind. Eine Geschichte, die noch nicht geschrieben wurde …

Doch nun zur tatsächlichen Literatur: Meine Empfehlung ist, diese Anthologie erst einmal hinten aufzuschlagen, auf Seite 147 »Glanz und Enttäuschung« von João Melo zu lesen, und sich dann langsam nach vorne zu tasten, von der Gegenwart in eine Vergangenheit, die ohnehin nie streng chronologisch verlief. Zwischendurch kann der Blick in das Vorwort der Herausgeberin über Angolas Geschichte und Literaturgeschichte abschweifen, in dem schließlich auch der zunächst sperrig daherkommende Titel »Angola Entdecken!« erklärt wird, denn auch er bezieht sich auf Literatur, die Bewegung junger Intellektueller, die sich ab Mitte des vergangenen Jahrhunderts auf die ästhetische Suche nach der Identität jenes Landes machten, das schließlich 1975 – vor ziemlich genau vierzig Jahren – seinen Status als unabhängiges Land erkämpfte, um anschließend zum Spielball von ideologischen Stellvertreterkriegen zu werden und in ganz jüngster Vergangenheit zur Erdölkleptokratie, deren Hauptstadt Luanda unter den teuersten Großstäten der Welt firmiert.

Und schon wieder lappt die Besprechung des Buches ins Politische. Womöglich gibt es derzeit auch noch keine andere Perspektive (von Europa aus). Wenn Luandino Vieira seinerzeit für seine Texte (Fiktion, wohlgemerkt!) für Jahre in den Kerkern der Portugiesen landete und heute – unter ganz anderen Vorzeichen – ein Lesezirkel unter den Verdacht des Hochverrats gestellt wird, ist die Verquickung von Literatur und Politik weiterhin kaum zu vermeiden. Die Erzählungen in »Angola Entdecken!« sprechen genau diese Sprache und sind doch (oder deswegen gerade) große Literatur, wie Michi Strausfeld in ihrer Rezension auf Literaturkritik.de feststellt.

Eine Anthologie wie diese kann niemals vollständig sein. Muss sie auch nicht. Seltsam, dass dieser Anspruch überhaupt in Erwägung gezogen wird. Und doch wagt Barbara Mesquita, dem Ganzen ein historisches Gerüst zu verleihen, gliedert das Buch in »Frühe Kolonialzeit«, »Späte Kolonialzeit«, »Unabhängigkeitskrieg«, »Unabhängigkeit, Sozialismus, Bürgerkrieg«, »Gegenwart«, um literarischen Prätiosen von Henrique Guerra, Pepetela, Castro Soromenho, Luandino Vieira, Boaventura Cardoso, Ondjaki, João Melo, Mena Abrantes oder Roderick Nhehone eine mehr als nur zufällige Ordnung zu geben. Der Leserin oder dem Leser bleibt es überlassen, sich dieser Ordnung zu unterwerfen oder wild in dem Buch herumlesend, Schriftsteller (leider keine einzige Schriftstellerin) des 20. und 21. Jahrhunderts zu entdecken, von denen man im deutschen Sprachraum bisher nicht allzuviel (um nicht zu sagen meist nichts) lesen konnte. 

mk, 01.12.2015

Angola Entdecken, herausgegeben von Barbara Mesquita. Arachne Verlag 2015

Angola Entdecken!
Eine Anthologie

Herausgeben von Barbara Mesquita, übersetzt von der Herausgeberin und Inés Koebel.
Arachne Verlag, 170 Seiten


Mehr angolanische Literatur in deutscher Übersetzung:

Mögen Pitangas wachsen / Oxalá cresçam pitangas
Literatur aus Angola. Ein zweisprachiges Lesebuch
Herausgegeben von Ineke Phaf-Rheinberger, übersetzt von Barbara Mesquita
Poetenladen Verlag, 2014

Pepetela:
Jaime Bunda, Geheimagent

Übers.: Barbara Mesquita
Taschenbuchausgabe, Unionsverlag 2006

José Eduardo Agualusa:
Das Lachen des Geckos

Übers.: Michael Kegler
2.Auflage, A1 Verlag 2015

José Eduardo Agualusa:
Die Frauen meines Vaters
Übers.: Michael Kegler
A1 Verlag, 2010

José Eduardo Agualusa:
Barroco Tropical
A1 Verlag, 2011

Ana Paula Tavares
Fieberbaum
Gedichte 1986-2007
Edition Delta, 2010

Ondjaki:
Die Durchsichtigen
Übers.: Michael Kegler
Wunderhorn, 2015

nur noch antiquarisch lieferbar:

Ondjaki:
Bom dia, Camaradas

Übers.: Claudia Stein
Baobab 2006