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Lissabon der Gefühle

Armando Silva Carvalho: Lisboas – roteiro sentimental.
Übersetzt von Ilse Pollack

Die Traurigkeit wird hier deutlicher, fern vom Meer
und den stolzen Kiefern
die sich nicht vertragen mit dieser Zeit
geritzt in den Asphalt
und in den leeren und lächerlichen
Autobushaltestellen

Lyrik zu übersetzen ist immer ein Wagnis, zumal portugiesische, aus einem Land, das kaum jemand zu kennen meint und daher naturgemäß von einem Dichter, von dem auch niemand (hier) je etwas gehört hat. Da bietet sich ein Aufhänger an, der zumindest ein wenig das Immaginarium Mitteleuropas anrührt: Lissabon. Doch natürlich hat Ilse Pollack Armando Silva Carvalho nicht ausschließlich deswegen ausgewählt, denn tatsächlich ist er »einer der interessantesten portugiesischen Dichter der Gegenwart« in diesem an interessanten Lyrikern wahrlich nicht armen Land.

Interessant ist Carvalho unter anderem für seinen Umgang mit dem Erhabenen, den er hier einem gewissen Herrn Fernando Pessoa unterstellt: 

Ich hab' heute sagen gehört, dass der Dichter Hr. Fernando
Pessoa einen Bruch vollzog
mit der traditionellen Lyrik.
(…)
Das alles scheint mir Perfidie von denen, die nicht verstehen,
dass seine Stimme auch die der Straße war.

und (eins der beliebten Bonmots Fernando Pessoas – »Mein Vaterland ist die portugiesische Sprache« – aufgreifend):

Sagt und verbreitet das zu seiner Erinnerung
Der ich niemals aus etwas
mein Vaterland machte.

Klar, dass auch sein Blick auf die Stadt Lissabon mit all ihren Klischees, und auch wenn er sich mal über ein »Touristenpaar am Marquês« lustig macht, dessen »Einsamkeit neben einer anderen Einsamkeit«, den eher weniger sichtbaren Dingen gilt, einem Jungen mit Ledertasche, dem hohlen Glitzer der Einkaufspassagen, aber vor allem dem »Stadtplan des Hustens und Spuckens, der vertrockneten Schuppen / auf den feigen und hängenden Schultern / des Verrats« (José Cardoso Pires gewidmet): »Und auf jedem Hügel wächst das Wort / wie eine Distel in der Stimme des Bürgers in Not«

Ironisch ist Armando Silva Carvalho, empathisch, detailverliebt und auch melancholisch. Man kann sich versenken in diesen Versen, die nur vordergründig von Lissabon, dem »Portugiesischen Pflaster«, der »Praça das Flores«, »Sonnenuntergang in der Fonte Nova« aber auch dem »Spital der CUF« erzählen, und nur selten geht der lesende Blick nach links auf die geraden Seiten, wo – wie es sich für eine gute Gedichtübersetzung gehört – das jeweilige Original abgedruckt ist. Und owohl Deutsch und Portugiesisch miteinander mitunter recht zickig umgehen, was Rhythmus und Klanglichkeit angeht, liest man im Original eher aus Neugier denn aus Notwendigkeit (soviel Lob der vorzüglichen, nicht immer »gefälligen«, Übersetzung sei an dieser Stelle erlaubt). Lyrik aus Portugal zu übersetzen ist immer ein Wagnis, und in diesem Fall ein gelungenes.

Am Himmel tanzt und schweift noch eine Möwe umher.
Auf dem Boden nahe dem Meer
kreist ein anderer Tanz um das Herz.
Doch werd' ich nie wissen, wie man tanzt.

oder

Von innen ist die Stadt ein Knäuel aus Angst
und etwas Zärtlichkeit aus bemaltem Papier.
Es gibt nchts, was unserer Größe im Kochen gleichkommt
sagen die beim Nachtisch schon reinen Messer.

Und wenn an einem verregneten Herbstnachmittag die Sehnsucht nach Süden geht, ist es auch für den touristisch verbrämten Geist gut, zu erinnern, dass in der Saudade auch Melancholie schwingt:

Der Sonntag ist ein guter Tag um zu betrachten
die Traurigkeit.
Der Wind weht langsam durch diese verlassenen Straßen
die Auslagen verwandeln sich
in Grüfte
und die Tauben sitzen auf den alten Dächern
mit Kränzen aus trockenen Blättern
die vom Schnabel hängen
 

mk, 03.12.2015

 

Armando Silva Carvalho: Lissabon. Übersetzt von Ilse Polack. Teamart 2015

Armando Silva Carvalho:
LISSABON.
Ein Stadtführer der Gefühle
(Lisboas. Roteiro sentimental)
Zweisprachige Ausgabe
Übersetzt von Ilse Pollack
152 Seiten
teamart Verlag, Zürich 2015


rezensiert auch von

Eva Karnofsky auf SWR2
David Westphal auf »Das Gedicht Blog«


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