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03.01.2011 (mk)

Conceição Lima
Ana Paula Tavares

zwei große afrikanische Stimmen. Endlich in deutscher Übersetzung.

Als die 1961 auf São Tomé e Príncipe geborene Conceição Lima 2004 ihren ersten Gedichtband O Útero da Casa veröffentlichte, geriet die Kritik ins Schwärmen: Ein Geheimtipp, eine ganz außergewöhnliche Stimme, eine großartige Dichterin, die bereits seit früher Jugend in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht, aber nie Zeit oder Muße gefunden (vielleicht auch nie die Notwendigkeit gespürt) hatte, einiges davon in Buchform herauszubringen.

Gerade einmal 65 Seiten stark ist denn auch ihr Debüt, dem zwei Jahre später der um immerhin 10 Seiten dickere Band A Dolorosa Raíz do Micondó folgte, ebenfalls ein gewaltiges Stück afrikanischer Lyrik, das weibliche Identität in den historischen Kontext der jüngeren postkolonialen Geschichte Afrikas stellt und dabei kein Wort zu viel macht.

 

MUTTERLAND

Ich möchte wach sein
bei meiner Rückkehr in den Mutterleib
um das tagtägliche
Halbdunkel der Wände zu spüren
an der Fingerhaut die Milde
der unterirdischen Tage
die vergangenen Augenblicke wiederzubeleben

Ich glaube an diese Weite
vielleicht der Strände oder der Wüste
ich glaube an die Rastlosigkeit
die dieses Schattentheater biegt

Und so hinterfrage ich mich
nur um dich zu veranschaulichen
Bach aus Schmerzen Wutschwall
da der Regen sich verzögert und der Obô
mittags traurig wird

Ich verletzte nicht das Sterben der Affenbrotbäume
den verwitweten Platz der fröhlich zwitschernden Finger

Eine Basaltstufe ragt aus dem Meer
und ich bewohne wieder im Efeutanz
deinen Körper
mütterlicher Tempel
meine melancholische Burg
aus starren Brettern und Senkblei.

(Conceição Lima. Aus: Die Gebärmutter des Hauses)


Dass zeitgleich mit der Werkausgabe von Conceição Lima im selben Verlag (Edition Delta) auch eine der Angolanerin Ana Paula Tavares in deutscher Übersetzung erscheint, mag markttechnisch gewagt sein. Inhaltlich haben die beiden Lyrikerinnen mehr gemeinsam, als auf den ersten Blick scheinen mag.

Tavares' Debüt Ritos de Passagem (Übergangsriten) stammt aus den achtziger Jahren und erregte seinerzeit großes Aufsehen dadurch, dass die Autorin, wie Margrit Klingler-Clavijo in einem Porträt von 2003 (LiteraturNachrichten 77) schreibt, »weniger dem damals üblichen Sozialistischen Realismus verpflichtet fühlte, sondern unverblümt über Liebe und Erotik schreibt.« Eine Tendenz, der sie bis heute treu bleibt:

 

In deinen Händen
brannte
ein Schaumschiff
das Netz

glitt aus deinen Händen
Feuerzunge
Durst

an deinen Händen
spürte ich
den stärkeren Wind
Fieber

in deinen Händen
erzitterte
der Name des Lebens
die Zeit

Ana Paula Tavares. Aus: Manual para Amantes desesperados (Handbuch für verzweifelte Liebende) in: Fieberbaum)

 

Geschickt und in ihrer Einfachheit fast verstörend verwebt Tavares’ Lyrik Erotik von unverblümter Intensität mit feinen Anspielungen auf ihr Land, Leute und ihre Geschichte.

 

MUKAI VI

Um an deinen Lippen aus Silber nicht zu sterben,
musste man Vogel und Schlange sein,

um deine Lippen aus Silber nicht zu spüren,
musste man Frau und Volk sein,

um an deinen Lippen aus Silber nicht zu leiden,
musste man Traum sein,
eine geschlossene Kalebasse.

Um an deinen Lippen aus Silber nicht zu sterben,
musste man weder Frau, noch Vogel, noch Volk sein.

Ana Paula Tavares. Aus: Dizes-me Coisas amargas como os Frutos (Du sagst mir Dinge so bitter wir Früchte) in: Fieberbaum)


Allein die Gegenüberstellung von »Frau« und »Volk«, gepaart mit »deinen Lippen aus Silber« an denen es sich sterben und leiden lässt, kann (je nach Disposition) Gänsehaut verursachen oder zu Magisterarbeiten anregen.

Dabei, so merkt Klingler-Clavijo auch an, sei das Werk Ana Paula Tavares’, die als Historikerin an der katholischen Universität Lissabon auch über afrikanische Geschichte publiziert, ohne den »wiederholten Rückgriff auf die reiche orale Tradition Angolas« undenkbar.

 

Die Mutter kam,
sie war nicht allein,
der Korb, den sie mitbrachte,
war noch nicht ganz fertig,
die Mutter kam,
ihre Zöpfe waren nicht gerade,
die Mutter kam und das Tuch, das sie brachte,
war nicht glatt und gebügelt,
die Mutter kam mit reifen Augen,
die Mutteraugen
schauten nicht in die gleiche Richtung,
die Mutter kam
und es war noch nicht die Zeit
für Sauerteigbrot
und Kinder,
die Mutter kam und das Wort, das sie bei sich trug,
war nicht gut zubereitet,
die Mutter kam
allein
mit Worten des Unheils und Lärms, der Armut und gegorener Milch

Ana Paula Tavares Aus: Dizes-me Coisas amargas como os Frutos (Du sagst mir Dinge so bitter wie Früchte). In: Fieberbaum)



Conceição Lima, die als streitbare Journalistin lange für den portugiesischsprachigen Dienst der BBC tätig war und erst kürzlich nach São Tomé e Príncipe zurückgekehrt ist, schafft ähnliche Bilder, arbeitet unverkennbar im Rückgriff auf die orale Tradition ihres Landes, legt aber weitaus mehr Wert auf eine explizit politische Perspektive, wobei diese für ihre Generation schon längst nicht mehr im Verdacht steht, Sozialistischen Realismen nahe zu stehen. Eher ist es ein sehr genauer Blick in die Welt und von dort wiederum auf ihr Land:



Ohne Fanfaren ziehen die Bulldozer ab.
Sie schleifen im Staub die Sandalenriemen
und das Entsetzen an den Hühnerflügeln.
In ihrer Spur vergehen die Wörter
und das biblische Antlitz der Olivenbäume.

Der Schenkelknochen, der den Schutt durchbohrt,
ist tot und namenlos.
Ein Elfenbeinpfahl,
der bitter in der Erde Jenins erglänzt.

Die Sonne geht in Berlin auf, woanders.
Nicht in Liberia oder auf den fields von Freetown.
Weder im Flüchtlingslager von Jenin, noch in meinem Umkreis.

Conceição Lima: JENIN. Aus: A Dolorosa Raíz do Micondó. In. Die Gebärmutter des Hauses.

 

»Ihre Stimme des Bewußtseins beklagt das Schicksal ihres Insellandes als ehemalige Drehscheibe der Sklaverei und als Hort des Kolonialismus, die enttäuschten Ideale der Freiheit und Unabhängigkeit und auch die wechselhaften Stimmungen der demokratischen Gegenwart von São Tomé e Príncipe.«, schreibt Tobias Burghardt im Nachwort zu Die Gebärmutter des Hauses, was allerdings nur die halbe Wahrheit beschreibt, denn nicht nur ist Conceição Lima durchaus in der Lage, etwa DEN SCHATTEN DES GEMÜSEGARTENS zu besingen, sondern gerade ihre politische Lyrik schafft kraftvolle, für sich selbst sprechende Bilder von lyrischer Schönheit, die weit über den konkreten politisch-historischen Zusammenhang hinausreichen.


AMADORS ZWEITER AUFSTAND

Die Wolken werden wieder
den Gipfel bedecken,
und die Männer marschieren
über die Ebene.

Unerwartet werden wieder
die Fluten steigen,
um von dem Wegen
tote Blätter
und verlorene Schritte fortzuspülen.

Conceição Lima. Aus: Gebärmutter des Hauses.



Mehr als 5 Jahre haben Juana und Tobias Burghardt an der Übersetzung der beiden Poetinnen gearbeitet, aus Ana Paula Tavares’ umfangreichem Œuvre eine stattliche Werkauswahl zusammengestellt, von Conceição Lima kurzerhand beide verfügbaren Bücher ins Deutsche übertragen. Ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass der kleine stuttgarter Verlag damit zwei der eindringlichsten lyrischen Stimmen der afrikanischen Gegenwartsliteratur überhaupt herausgebracht hat. Eine Arbeit, die neben dem großen Lob für die sorgfältige, großartige Übertragung, nicht deutlich genug gewürdigt werden kann.

Michael Kegler




Ana Paula Tavares:
Fieberbaum / Árvore da Febre.

Zweisprachige Werkausgabe.
Aus dem afrikanischen Portugiesisch von Juana und Tobias Burghardt.
155 Seiten. Edition Delta, 2010
ISBN 978-3-927648-27-2

Conceição Lima:
Die Gebärmutter des Hauses / O Útero da Casa.

gefolgt von Die schmerzvolle Wurzel des Affenbrotbaums / A Dolorosa Raiz do Micondó.
Aus dem afrikanischen Portugiesisch von Juana und Tobias Burghardt.
210 Seiten. Edition Delta, 2010
ISBN 978-3-927648-26-5

Weitere Gedichte von Ana Paula Tavares und Conceição Lima finden sich unter anderem in Sterz Nr. 77 (1969), in der von Peter Ripken und Véronique Tadjo herausgegebenen Anthologie Antilopenmond. Liebesgedichte aus Afrika (Peter Hammer Verlag, 2002) sowie in der Anthologie portugiesischsprachiger Lyrik hotel ver mar (Hrsg. von Michael Kegler, TFM, 2009).