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Europäische Kultur als Fetisch
Luís Krausz im Gespräch mit Albert von Brunn

Luís Krausz (*1961) Schriftsteller aus São Paulo entstammt einer Familie Wiener Juden, die 1925 Österreich verließen und nach Brasilien emigrierten. Sein Werdegang ist kosmopolitischer Natur, studierte er doch Klassische Philologie und Hebräisch an der Columbia University, der University of Pennsylvania und an der Universität Zürich. Auf der Frankfurter Buchmesse präsentierte er eine Monographie zur deutsch-jüdischen Literatur zwischen Ghetto und Metropole mit dem Titel Passagens. 2013 erschien auch sein erster Roman, Desterro in deutscher Übersetzung (Verbannung. Übers.: Marlen Eckl) beim Verlag Hentrich & Hentrich in Berlin. Dieser Roman spielt im Mikrokosmos jüdischer Immigranten in São Paulo. Wenn auch die Emigranten durch ihre Verpflanzung nach Südamerika vor der Vernichtung bewahrt wurden, so bedeutete die Emigration jedoch zugleich das Ende ihrer persönlichen und kollektiven Identitäten. Auf der Buchmesse führte Albert von Brunn für Nova Cultura folgendes Interview:

Luis S. Krausz. Literaturtage Zofingen 2013. Foto: M. Kegler, Novacultura.de 

Luís, wie hast Du die brasilianische Megalopolis São Paulo erlebt und in welcher Beziehung steht sie zu den europäischen Großstädten wie Berlin, London oder Paris?

São Paulo hat sich im Laufe meines Lebens stark verändert, ganze Stadtviertel sind nicht mehr widerzuerkennen. So etwas hat viel zu tun mit dem Gefühl der Entwurzelung, sodass man dort nie richtig Fuß fassen kann und vom Wachstum der Stadt herumgeschleudert wird – ein unangenehmes Gefühl für mich. Dazu würde ich sagen: Campos do Jordão, wo ich mich als Kind glücklich gefühlt habe, ein Ort der Glückseligkeit, hat sich in den letzten Jahren schrecklich verändert und ist nicht mehr wiederzuerkennen. Diese Verwandlung empfinde ich als den Verlust einer Heimat, sodass ich in meinem Buch zuerst über diesen Verlust spreche. Das Gefühl des Exils ist damit verbunden, das Entwurzeltsein.

Als Kind habe ich fast täglich von Europa geträumt und fuhr als Zwölfjähriger zum ersten Mal dorthin. Jetzt geht es in die richtige Welt – das war so diese Vorstellung von Europa als Paradigma, vor allem London. Dort galt für mich alles als vorbildlich, aber auch Zürich – alles so ruhig und zivilisiert. Die Unterschiede waren größer während der Militärdiktatur, mehr als heute. In Brasilien gab es damals keine Kunstausstellungen, und das Kino war zensiert. Europa war das Land der Freiheit. Für mich ist es sehr erfreulich, Zürich zu besuchen, wo ich studiert habe und wo nach zwanzig Jahren alles noch so ist wie früher. São Paulo hat sich dagegen völlig verändert.

In einem der wichtigsten Kapitel des Buches geht es um die Uhren, Sammelobjekte der Familie im Roman. Ist die europäische Kultur damit zum Fetisch geworden?

Ja, ich glaube, die europäische Kultur ist bis zu einem gewissen Grad zum Fetisch geworden, denn alles Europäische besaß eine gewisse Aura, die auch damit verbunden war, dass man während der Militärdiktatur in Brasilien nichts aus dem Ausland einführen durfte, weder Konsum- noch Kulturgüter. Die einzige Ausnahme waren Bücher. Wir waren von allen Schätzen der Welt isoliert. Und dabei kam auch eine Manie der Nachahmung auf, zum Beispiel in Campos do Jordão. Als ich Kind war, war Campos do Jordão eine brasilianische Stadt in den Bergen. In den siebziger Jahren wurde daraus ein Alpen-Disneyland mit Schokoladefabrik, Chalets und Fondue.

In »Verbannung« fungiert die Avantgarde als Bindeglied zwischen Europa und Brasilien. Welche Bedeutung hat für Dich die Avantgarde, der Modernismo von São Paulo zum Beispiel?

Ich weiß nicht, ob ich von einer persönlichen Beziehung zur brasilianischen Avantgarde sprechen kann, eher zur Avantgarde im Allgemeinen. Der brasilianische Modernismo ist Teil einer internationalen ästhetischen Bewegung. In meinem Fall würde ich eher von einem Einfluss der europäischen Avantgarde sprechen, vor allem in der Literatur: Franz Kafka, Bruno Schulz und Max Blecher. Das sind Autoren, die mich stets beeinflusst haben.

Luís, Du hast vor Kurzem in São Paulo Deinen zweiten Roman, »Deserto« (Wüste) vorgestellt, ein Abenteuer zwischen Brasilien, Israel und England, also gewissermaßen auf drei Kontinenten. Kannst Du uns etwas über diesen neuesten Roman erzählen?

Mein Buch »Deserto« ist auch eine Mischung aus Dichtung und Wahrheit. Ich glaube, dieses Buch zeigt die Ambivalenz meiner Identität (brasilianisch-deutsch-jüdisch) und die Konflikte, die sich daraus ergeben, und wie ich zwischen diesen Welten existiere, ohne mich ganz mit einem dieser Elemente identifizieren zu können. Es bleibt immer etwas übrig – ein Paradox. In Israel fühlte ich mich sehr deutsch, aber auch sehr brasilianisch, in Deutschland als jüdischer Brasilianer usw. Darum geht es in diesem Roman – ein Dasein zwischen drei Kontinenten, was mit der Vertreibung zu tun hat und wohl auch mit der sehr jüdischen Fixierung auf die Vergangenheit und der jüdischen Nostalgie, denn ich glaube, die jüdische Kultur in Europa hat sich um diesen Begriff der Rückkehr kristallisiert. Es blieb immer die Hoffnung, nach Jerusalem zurückzukehren. Die jüdische Kultur ist sehr vergangenheits-orientiert und deswegen erzählen auch die deutsch-österreichischen Juden von der Vergangenheit – eine Art Atavismus. Als ich selbst in Europa wohnte, hatte ich Sehnsucht nach dem Ozean, dem Strand und der Natur in Brasilien, was auch zu einer gewissen Melancholie führt, wobei der Impuls zum Schreiben mit dieser Melancholie verbunden ist, wie bei Walter Benjamin.

Und Deine Zukunftspläne?

Ich hoffe, es wird mir möglich sein, weitere Romane zu schreiben und zu veröffentlichen. Das ist eine große Freude in meinem Leben.

Und wir hoffen, noch von Dir zu hören. Vielen Dank!       

Albert von Brunn


 

Luis S. Krausz
Verbannung.
Erinnerungen in Trümmern.
aus dem brasilianischen Portugiesisch von Manfred von Conta.
160 Seiten
Hentrich & Hentrich 2013

Original:
Desterro. Memórias em ruínas
164 páginas
Ed. Tordesilhas 2011


Luis S. Krausz
Deserto
150 páginas
Ed. Benvirá 2013




Albert von Brunn ist regelmäßiger Mitarbeiter von www.novacultura und rezensierte zuletzt den Roman Verbannung von Luís S. Krausz.