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26.11.2008

The great
»Unterhaltungsroman-Swindle«

Ricardo Adolfo:
Mizé, die schärfste Braut der Vorstadt
Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita
Berlin Verlag,
304 Seiten, gebunden
ISBN: 978-3-82700-777-3

Portugiesische Originalausgabe:

Mízé
240 páginas
Publicações Dom Quixote 2006


Ricardo Adolfo wurde 1974 in Luanda (Angola) geboren, wuchs in Lissabon auf und lebt heute in Amsterdam.

Sein erstes Buch, Erzählungen unter dem Titel Os Chouriços são todos para assar, erschien 2003 bei Dom Quixote. Mizé ist sein erster Roman


So musste es ja kommen: Bei Weltbild steht Mizé, der erste Roman von Ricardo Adolfo, bei den »Unterhaltungsromanen«, danach wahrscheinlich bald irgendwo in der Grabbelkiste und fertig. Vielleicht war es doch keine gute Idee, den Autor als »neuen Almodóvar« (Pressetext des Verlages) zu verhohnepiepeln.

Denn wer den Roman etwas aufmerksamer liest, erkennt hinter wunderbaren Dialogen bald ein Buch, das zwar mit der Ästhetik der auch in Portugal allgegenwärtigen »Light«-Literatur spielt, mit dem Genre an sich aber nicht allzuviel zu tun hat.

Aber der Reihe nach: Nach der ersten gemeinsam verbrachten Nacht bittet Palha, der ansonsten vor allem schüchtern ist, die leidlich attraktive Mizé, seine Frau zu werden.

»Lass uns heiraten, bitte.«
»Jetzt atme erst mal tief durch, so ganz ruhig.»
»Aber ich will ein Leben lang mit dir zusammen sein, Mizé.«
»Du meinst, du willst ein Leben lang mit mir vögeln?«
»Ja, das will ich auch.«

Und Mizé willigt ein.

Erinnert sich jemand an »Ariel« von Aki Kaurismäki und die berühmte Dialogsequenz: »Jetzt wirst du aufstehen, und wir sehen uns nie wieder« / »Nein, wir bleiben für immer zusammen«. Genau so funktioniert Mizé.

Und auch das Ambiente ist dasselbe: Statt vorgetäuschtem Glamour in nur scheinbar interessanten Penthäusern und Cabriolets, Plattenbau-Mittelschicht-Tristesse und Kleinwagen, und Palha wird Vertreter für Kartoffelchips.

Doch eines Tages, das ist der zweite Einstieg in das Buch, findet Palha heraus, dass seine Frau in einem früheren Leben Darstellerin in einem Pornofilm war. Nun erkläre mal einer (wütend) seiner Frau, er habe sie in einem Pornofilm gesehen. Ein Kalauer, ja, aber vor allem eine veritable Zwickmühle. Vielleicht ist es das, was der Pressetext des Verlages mit »iberischer Schärfe« meint.

Ricardo Adolfo ist ein sehr guter Beobachter, der beißende, ätzende Dialoge schreiben kann, und er hat mit Mizé einen definitiven anti-Light-Literatur-Roman geschrieben, der mit »Unterhaltungsroman« in dem blöden Sinn des des Wortes überhaupt nichts zu tun hat. Genüsslich seziert er die Welt der Kino-Sehnsüchte und Penthaus-Träume und knallt sie hart auf den Boden der ganz normalen Realität: Palha wird nie herauskommen aus seiner Zwickmühle als umsatzbeteiligter Knabberkram-Vertreter, der seine Kumpels am Tresen bescheißen muss, damit sie noch mehr Durst bekommen und noch mehr trinken, damit der Kneipier noch mehr Knabberkram kauft, von dem seine Freunde durstig werden, und er bekommt ein paar mickrige Prozente ab, von denen er vielleicht irgendwann eine Wohnung, ein Auto, einen Traum kaufen kann.

Ach, die Zwickmühle mit der Eifersucht und dem Pornofilm … fast eine Nebensache …

Erwähnte ich schon, dass das Debüt von Ricardo Adolfo sich rasant liest, und dass es ein wirklich glücklicher Zufall ist, dass das Buch ziemlich schnell nach Erscheinen in Portugal schon ins Deutsche übersetzt wurde? Nein, dann tue ich es jetzt.

Lesen Sie dieses Buch! Ricardo Adolfo ist nicht der iberische Almodóvar, er ist ein Werbetexter, der in Amsterdam lebt, und der einen sehr guten Roman geschrieben hat, der eine Ohrfeige für alle Unterhaltungsromane ist. Und unterhaltsam ist er noch dazu. Lesen sie ihn!

Michael Kegler

 


und sonst …

Anselm Brakhage meint im Titel-Magazin:
Ein stimmiger, lebensnaher Unterhaltungsroman über Träume und Desillusionierung, der nach etwas holprigem Start richtig Fahrt aufnimmt und zu überzeugen weiß. >>>