25.04.2012
Portugal im April
Ein doppeltes Zeitdokument
Seit ziemlich genau einem Jahr auf dem Markt aber deshalb nicht weniger interessant ist der mit einem Abstand von fast dreißig Jahren wieder aufgelegte Zeitzeugenbericht des damaligen Korresponten des damaligen SED-Zentralorgans Neues Deutschland über die Ereignisse in Portugal nach der Nelkenrevolution. Damals wie heute legt der Autor Klaus Steiniger Wert darauf, nicht »distanzierter Beobachter«, sondern »Weggefährte« gewesen zu sein.
Fast vierzig Jahre sind seitdem vergangen. Viele der Weggefährten des politischen Korrespondenten leben nicht mehr, die SED gibt es nicht mehr, Neues Deutschland ist nicht mehr Zentralorgan. Vor allem aber ist in Portugal so viel passiert, dass der 25. April 1974 immer mehr zur nostalgischen Erinnerung wird, um deren Deutungshoheit zwar regelmäßig zum Jahrestag gestritten wird, die aber im realen Leben leider ebenfalls von den Ereignissen überrollt wird.
Insofern mutet es zwar bisweilen seltsam an, in einem Buch aus dem Jahr 2011 die Diktion aus den siebziger Jahren zu lesen, es ist aber vor allem ein Glücksfall, dass Klaus Steiniger sein damaliges Buch »Portugal - Traum und Tag« (Brockhaus, Leipzig 1982) zwar überarbeitet und um Korrespondenzen erweitert, aber im Wesentlichen so belassen hat, wie es seinerzeit in der DDR erschienen ist. Auch damals schon aus der Perspektive des Niedergangs einer Revolution, von der sich die Beteiligten (und dazu zählt sich auch der Autor) viel mehr erwartet hatten. Auch 1982 war bereits klar, dass Portugal nicht sozialistisch werden würde, die EU-Integration war auf dem Weg.
Vor diesem Hintergrund entstand Anfang der achtziger Jahre dieser Reportageband. In der Neuauflage ist er ein doppeltes, wenn nicht gar dreifaches Zeitzeugnis: »Die portugiesische Revolution (...) war der bisher weitreichendste antikapitalistische und antiimperialistische Vorstoß im Westen Europas«, schreibt Steiniger im Vorwort zur aktuellen Ausgabe. An die Euphorie, die Aufbruchsstimmung und die historischen Hintergründe, auch die Errungenschaften jener Tage und Monate zu erinnern, ist nie verkehrt. Die Begeisterung, mit der Portugal sich in das Abenteuer der Befreiung stürzte, ist auch in Steinigers Text spürbar. Spürbar ist aber auch die Verbitterung über den Verlust jener revolutionären Dynamik, die Enttäuschung vieler Hoffnungen, die aus heutiger Perspektive noch einmal ganz anders gelesen werden kann. Und: Steinigers Analysen sind klar datiert, seine Perspektive ist deutlich parteiisch. Auch dies macht das Buch interessant, denn hier schreibt nicht einer der unzähligen BRD-Linken, die seinerzeit scharenweise mit eigenen Träumen nach Portugal pilgerten, sondern ein Gesandter der DDR, deren linke Perspektive und Hoffnung auf das Gelingen der Revolution noch einmal anders war, als das jener Revolutionstouristen, die 1982 ihren Fokus längst auf Nicaragua gerichtet hatten.
All dies macht Portugal im April zu einer ungeheuer spannenden und vor allem historisch höchst interessanten Lektüre.
Michael Kegler
Klaus Steiniger
Portugal im April. Chronist der Nelkenrevolution
465 Seiten
Berlin: Verlag Wiljo Heinen, 2011
|