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Tausend Lügen, das Leben, die Literatur.

»Uma Mentira Mil Vezes Repetida« von Manuel Jorge Marmelo

 

Habe ich Ihnen schon von dem Zebramann erzählt? Wollen Sie hören?

Eine wirklich abstruse Geschichte steht am Beginn des Romans und spielt im weiteren Verlauf keine Rolle mehr, auch wenn man noch eine Weile lang gespannt auf ihren Ausgang warten wird.

Anders als Joseph Goebbels (…) glaubte, wird eine tausendfach wiederholte Lüge nicht Wahrheit, sondern schlicht langweilig.

Manuel Jorge Marmelos Erzähler in »Uma mentira mil mezes repetida« achtet penibel darauf, sich nicht zu wiederholen, wenn er Passanten und Mitreisenden in Bus und Bahn von dem angeblichen Roman eines angeblichen Oscar Schidinski erzählt, dessen Handlung er stets frei erfindet, um sich mit einem aus dem Internet ausgedruckten und in Leder gebundenen Bündel Papier in der Straßenbahn wichtig zu machen. Auch die Biografie seines Autors, eines aus Budapest geflohenen Juden, dessen Buch in den Wirren der europäischen Geschichte verloren ging (und dessen angeblich einziges Exemplar der Erzähler in Händen hält), erfindet er jedes Mal neu und versteigt sich in Begegnungen seines Autors und Protagonisten mit Kafka, Fernando Pessoa, Jorge Luis Borges … Gegenüber dem Leser macht er jedoch keinen Hehl: Es ist alles erfunden.

Manuel Jorge Marmelo, geboren 1971, ist seit 1996, spätestens seit »As mulheres deviam vir com livro de instruções« (1999), eine der zuverlässigsten Stimmen der portugiesischen Literatur. Nach der Insolvenz des Verlags Campo das Letras im Jahr 2009 war ein Großteil seiner Bücher vom Markt verschwunden. Bei Quetzal startete Marmelo dann vor zwei Jahren neu und veröffentlichte neben seinen Klassikern kurz hintereinander zwei großartige neue Romane. »Uma mentira mil vezes repetida« ist der erste davon und ist nun für den Prémio Casino da Póvoa nominiert.

Auch ich dachte vor Zeiten, Literatur und der Ruhm des Schreibes könnten ein Weg sein zu Anerkennung und Glück, wie jeder andere auch. Bevor ich mich entschloss, einen erfundenen Roman im öffentlichen Nahverkehr spazieren zu fahren, dachte ich auch mehrere Jahre lang darüber nach, ein wirkliches Buch zu schreiben, doch immer, als ich es versuchte, geschah etwas, das mich zum Aufgeben bewegte.

In einem der wenigen Exkurse des Erzählers über sich selbst, erklärt dieser kokett und rührend unbescheiden, alle wirklich genialen Ideen für ein eigenes Buch hätten ihm die Großen der Weltliteratur bereits weggeschnappt. Und so bleibt Marmelos tragischem Held letztlich nichts anderes übrig, als anstatt etwa mit Saramago zu konkurrieren, immer großartigere Handlungsstränge des angeblichen Romans, immer konkretere und abenteuerliche biografische Details seines angeblichen Autors zu entwerfen, sich in literarische Konstruktionen und Exkurse in die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts sowie die Weltliteratur zu verstricken (wie etwa, dass Oscar Schidinski der eigentliche Autor der Schriften von Borges sei) und sie elegant wieder aufzulösen und gelegentlich alles infrage zu stellen, was er zuvor spannungsreich aufgebaut hat - einschließlich seiner eigenen Biografie -, zu erzählen und erzählen, wie eine moderne Scheherazade, der niemand mehr zuhört - von den Lesern des Romans einmal abgesehen. Wie einfach das ist, wenn man nicht selbst Autor ist … Der Leser kann sich darin schlicht verlieren, freut sich auf jede neue Wendung, den Roman im Roman im Roman, wird vor den Kopf gestoßen und steht wieder auf.

Und plötzlich erfüllt sich unerwartet der größte Wunsch des Erzählers. Eine junge Frau dreht sich nicht gelangweilt zur Seite, sondern bekundet Interesse an dem abgegriffenen Buch, das es gar nicht gibt. Panik bricht aus, und die einzige Rettung ist, dieses Buch, das nicht existiert, schlicht verschwinden zu lassen.  

mk - 21.01.2014

 

Manuel Jorge Marmelo:
Uma Mentira Mil Vezes Repetida
206 Seiten,
Quetzal 2012


Weitere lieferbare Titel von Manuel Jorge Marmelo:

As mulheres deviam vir com livro de instruções (1999 / 2013)
O amor é para os parvos (200 / 2011)
Aonde o vento me levar (2007 / 2012)
Somos todos um bocado ciganos (2012)


http://marmelo.blogspot.de/


Weitere für den Prémio Literário Casino da Póvoa 2014 nominierte Titel:

A Instalação do Medo,
Rui Zink
(Teodolito
)

A Luz é Mais Antiga que o Amor,
Ricardo Menéndez Salmón
(Assírio & Alvim
)

A Maldição de Ondina,
António Cabrita
(Abysmo
)

A Sul. O Sombreiro,
Pepetela (Dom Quixote
)

A Vida no Céu,
José Eduardo Agualusa
(Quetzal
)

Caligrafia dos Sonhos,
Juan Marsé (Dom Quixote
)

Dentro de Ti Ver o Mar,
Inês Pedrosa
(Dom Quixote
)

Diário da Queda,
Michel Laub
(Tinta da China
)
- auf Deutsch: »Tagebuch eines Sturzes«, Klett-Cotta 2013

Metade Maior,
Julieta Monginho
(Editorial Estampa
)

O Filho de Mil Homens,
Valter Hugo Mãe (Alfaguara
)

O Retorno,
Dulce Maria Cardoso
(Tinta da China
)

Pai, Levanta-te, Vem Fazer-me um Fato de Canela,
Manuel da Silva Ramos
(A.23 Edições)

Quando o Diabo Reza,
Mário de Carvalho (Tinta da China
)

Um Piano Para Cavalos Altos,
Sandro William Junqueira
(Caminho
)

Uma Mentira Mil Vezes Repetida,
Manuel Jorge Marmelo (Quetzal
)