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Der Gerechte aus Kappadokien – São Paulo
Wilson R.: O homen da Capadócia
rezensiert von Albert von Brunn

In einer Favela am Stadtrand von São Paulo bricht ein Feuer aus. Matheus und Ângela, die Feuerwehr-Brigade, rückt aus, um den Brand zu löschen. Doch sie sind nicht in der Lage, das Leben zweier Kinder zu retten, die in den Flammen umkommen werden. Da taucht ein Unbekannter mit einer breiten Narbe auf dem Gesicht wie aus dem Nichts auf, holt die Kinder aus dem Feuer und schenkt Matheus ein schwarzes Metallkreuz. Niemand scheint den Unbekannten zu kennen, bis schliesslich die Kellnerin der Lanchonete, Pedrina, seinen Namen herausfindet: er heisst Plácido und ist einer ihrer Stammgäste. 

Parallel zu den sich widerholenden Bränden und Feuerwehreinsätzen in São Paulo wird eine andere Geschichte erzählt, die der Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian (244-313). Der Held dieser Geschichte ist Jorge, Prinz aus Kappadokien, der im Auftrag seines Vaters und des römischen Kaisers Feldzüge gegen die Dörfer der Barbaren führt, bis er die Sinnlosigkeit seines Unterfangens erkennt. In Rom verliebt er sich in eine junge Christin, Rebecca. Während Jorge zur Beerdigung seines Vaters nach Hause eilt, stirbt Rebecca den Märtyrertod. Jorge verzichtet auf seinen Thron, um seine Geliebte zu suchen, denn der Erzengel Michael, Schutzpatron aller christlichen Krieger, hat ihm prophezeit, er werde sie dereinst an einem anderen Ort und in einer anderen Zeit wiederfinden.

Im Laufe der Geschichte verdichten sich die Indizien, dass Jorge und Plácido ein und dieselbe Person sind. Schließlich rettet Plácido seine wiedergefundene Liebe Pedrina vor einem Brandanschlag und stirbt auf den Straßen von São Paulo. Im Jenseits trifft er wieder auf Rebecca und galoppiert mit ihr über die Wolken davon.

Wilson R., eigentlich Wilson Roberto de Carvalho de Almeida, wurde 1965 in São José dos Campos (SP) geboren, studierte Literaturwissenschaft und machte sich einen Namen als Dichter, Erzähler und Kinderbuchautor. O homem da Capadócia ist sein neuester Roman, den er im Oktober an der Frankfurter Buchmesse einem internationalen Publikum präsentierte. Die Saga von Jorge, dem Gerechten, ist Teil einer literarischen Neuinterpretation des Christentums, die er mit einem Romanprojekt über die Legenda Aurea weiterführen will. Diese Neuinterpretation schlägt eine Brücke zwischen dem Orient und Brasilien, dem Vorderasien der Antike und der Gegenwart in São Paulo, einer der konfliktreichsten Metropolen der modernen Welt. Sie ist zugleich eine wunderbare Weihnachtsgeschichte.

Albert von Brunn (Zürich)

 

Wilson R.
O homem da Capadócia.
Goiânia: Pé de Letras, 2014. 304 páginas

Albert von Brunn (Zürich) schreibt regelmäßig auf www.novacultura.de, zuletzt über Milton Hatoum: Um solitário à espreita