angola . brasil . cabo verde . guiné-bissau . moçambique . portugal . são tomé e príncipe . timor lorosae

»Banalizar o Livro« oder Das Buch ist kein Luxusgegenstand

Zwanzig Jahre KuSiMon Verlag in Guinea-Bissau.

Der guinea-bissauische Autor und Verleger Abdulai Sila hatte 2014 allen Grund zum Feiern. Vor zwanzig Jahren gründete er zusammen mit zwei Mitstreitern den ersten privaten Verlag in Guinea-Bissau, den Ku Si Mon-Verlag. Im gleichen Jahr erschien dort sein Roman »Eterna Paixão«, der erste in Guinea-Bissau veröffentlichte Roman überhaupt. Inzwischen ist der Ku Si Mon-Verlag etabliert und kann eine breite Palette von Veröffentlichungen vorweisen. Er hat damit viel zur Entwicklung einer guinea-bissauischen Literatur beigetragen. International arbeitet Ku Si Mon in der »Allianz unabhängiger Verlage« mit, woraus gemeinsame Publikationen mit dem brasilianischen Verlag Pallas Editora und dem angolanischen Verlag Chá de Caxinde Editora hervorgegangen sind. 

Abdulai Sila. Oktober 2014, Frankfurt (TFM). Foto: Petra Noack (c) 

Der Schriftsteller Abdulai Sila hat mittlerweile drei Romane und zwei Theaterstücke sowie Erzählungen in diversen Anthologien veröffentlicht. Für sein kulturelles Engagement und sein literarisches Schaffen wurde Abdulai Sila im Juli 2013 von der französischen Regierung mit dem Orden eines Chevalier des Arts et des Lettres ausgezeichnet.

Abdulai Sila war als Vertreter des Verlags Ku Si Mon im Oktober 2014 Gast des Einladungsprogramms der Frankfurter Buchmesse. In der portugiesischen Buchhandlung TFM sprach er über sein Land und sein zweites Theaterstück »Dois Tiros e uma Gargalhada«, eine politische Satire. Michael Kegler hatte dafür einen Auszug aus der Komödie übersetzt.

Renate Heß hat Abdulai Sila auf der Buchmesse 2014 zu seiner Tätigkeit als Verleger und Schriftsteller befragt. 

 

Renate Heß: Abdulai Sila, Sie sind hier als Vertreter des Ku Si Mon Verlags; Ihr Verlag begeht in diesem Jahr sein 20jähriges Jubiläum. Das ist an sich schon eine beachtliche Leistung, umso mehr, wenn man die politische Instabilität in Guinea-Bissau bedenkt. Was waren in all diesen Jahren Höhepunkte, was waren Tiefpunkte für Ihren Verlag?

Abdulai Sila: Unser Verlag ist Produkt des Demokratisierungsprozesses in unserem Land. Er ist gleichzeitig auch Ausdruck der Demokratie, wie wir sie anstreben. Es gab für unsere Arbeit zwei spezifische Antriebsmomente. Das erste Moment war prägend in der Situation vor dem Krieg, der von Juni 1998 bis Mai 1999 stattfand. Wir befanden uns in einer gewissen Defensive, denn wir versuchten etwas zu tun, was de facto nicht „erlaubt“ oder nicht üblich war. Zum Beispiel sagten wir, wir wollten das Buch banal machen (banalizar o livro), denn die Bücher waren weit weg vom Lesepublikum, vor allem weit weg von der Jugend. Wir wollten also das Buch banalisieren, es den Leuten näher bringen, es vom Mythos des Luxusgegenstands befreien. Wir unternahmen verschiedene Dinge in dieser Hinsicht, unter anderem ließen wir alle Bücher, die wir herausbrachten, im Land selbst drucken. Vorher waren alle Bücher, die überhaupt veröffentlicht wurden, im Ausland gedruckt und gebunden worden. Wir wollten das ändern, wollten klar machen, dass ein Buch nicht etwas ist, das von weit her kommt, sondern uns nah ist. Wir haben also die Bücher in unserem Land hergestellt. Das hat funktioniert und die Leute begannen zu sehen, dass unsere Druckereien durchaus in der Lage sind, Bücher herzustellen. Und es hat dazu geführt, dass die Leute begriffen haben, ein Buch ist etwas Normales, in gewisser Weise Alltägliches und es ist für alle zugänglich. Das zweite Moment, in der Phase nach dem Krieg, hatte die gleiche Intention. Wir begannen nun unser Augenmerk auf andere Autoren zu richten, vor allem Jugendliche. Bei uns gibt es keine literarische Tradition, es gibt keine Tradition des Lesens und des Schreibens. Wir mussten also zunächst herausfinden, wer Talent zum Schreiben hat und diejenigen unterstützen. Wenn man noch keine Erfahrung hat, auf welchem Gebiet auch immer, braucht man immer Unterstützung, ein gewisses „Coaching“. Wir haben also nach jungen Talenten gesucht und haben schon drei Bücher von jungen Autoren veröffentlicht. Das sind wirklich beachtenswerte Arbeiten.
Das ist so ungefähr die Bilanz unserer zwanzigjährigen Verlagsarbeit.

_Wie finden Sie die Leute, die Talent haben? Wie passiert das konkret?

Abdulai Sila: Es hat in den letzten Jahren eine positive Entwicklung in unserem Land gegeben: Die jungen Leute beginnen sich für Literatur zu interessieren. Allerdings schreibt die Mehrheit von ihnen Gedichte. Wir verlegen aber keine Gedichte, aus Gründen, die wir den Leuten erklären. Das eine ist also die direkte Kontaktaufnahme und die Weitergabe von Informationen. Zweitens wird bei uns jährlich ein Literaturpreis verliehen, sowohl für Poesie als auch für Erzählungen. Wir nehmen Kontakt auf mit den Leuten, die sich in der Sparte Erzählungen um diesen Literaturpreis bewerben und fordern sie auf mehr zu schreiben mit der Perspektive, dies in unserem Verlag zu veröffentlichen.

_Und wieviele Bücher veröffentlichen Sie durchschnittlich pro Jahr?

Abdulai Sila: Zwei oder drei Bücher im Jahr. Mehr geht nicht. Es ist sehr viel Arbeit.

_Sie machen das ja alle nebenberuflich.

Abdulai Sila: Ja, nebenberuflich und ehrenamtlich (lacht).

_Das hat nun schon ein bisschen die Bedingungen klar gemacht, unter denen Ihre Arbeit stattfindet. Welche Bedingungen finden Sie von außen vor? Gibt es Unterstützung – gibt es keine Unterstützung? Gibt es Behinderungen?

Abdulai Sila: Wir bekommen keinerlei Unterstützung. Wir machen alles – wie ich gerade schon gesagt habe – auf Kosten unserer eigentlichen Arbeit. Ich denke, es ist schon gut, dass wir in Ruhe arbeiten können. Dass wir von politischer Seite keinen Ärger bekommen, wie es in der Vergangenheit passiert ist. Das betrachte ich schon als beträchtliche Unterstützung (lacht). Sonst bekommen wir keinerlei Unterstützung.

_Welchen Ärger hatten Sie in der Vergangenheit?

Abdulai Sila: Wissen Sie, unsere Arbeit gefällt denjenigen, die die Macht innehaben, nicht besonders. Obwohl sie nicht lesen. Sie lesen nicht und werden es nie tun. Sie lassen andere Leute für sich lesen, Leute aus dem Sicherheitsdienst oder der Geheimpolizei.

Die suchen dann Gespenster, wo es keine gibt und verursachen Ärger. Aber das betrifft weniger den Bereich der fiktionalen Literatur. Das gilt mehr für den Bereich des Journalismus. Journalisten werden bedroht, verfolgt, werden verhaftet und manchmal sogar vor Gericht gestellt.

Wir müssen also vorsichtig sein und dürfen nicht vergessen, dass sich die Meinungsfreiheit in unserem Land noch im Anfangsstadium befindet.

_Das ist jetzt auch das Stichwort für mich, eine Frage zu Ihrer Arbeit als Schriftsteller zu stellen. Sie haben ja schon mehrere Romane und Erzählungen veröffentlicht und jetzt in den letzten Jahren auch zwei Theaterstücke. Das sind Satiren über die politischen Verhältnisse nicht nur in Guinea-Bissau, sondern auch in anderen Ländern, könnte man sagen. Sie spotten darin über die Machtstrukturen und über diejenigen, die die Macht auch mit Gewalt an sich reißen und mit allen Mitteln verteidigen wollen.

Ihr Theaterstück »As orações de Mansata« ist an Shakespeares Macbeth orientiert. Es wurde 2013 von einer internationalen Gruppe in Coimbra inszeniert und in Portugal und in anderen Ländern aufgeführt. Wie sind denn die Reaktionen auf das Stück gewesen?

Abdulai Sila: Im Allgemeinen sehr gut. Vor allem auch in meinem Land. Als das Stück an zwei Abenden hintereinander in Bissau aufgeführt wurde, war der Saal jeweils brechend voll. Den Leuten hat das Stück sehr gut gefallen, das haben wir sowohl während der Aufführung als auch hinterher an den Reaktionen gemerkt. Ich denke, diese Stücke sind wichtig, sie sind Reflexionen darüber, was in unserem Land stattgefunden hat. Vielleicht können Sie auch dazu anregen, dass die Leute über andere mögliche Szenarien nachdenken und diese entwickeln können.

_Das Stück wurde in Portugal, Spanien und Guinea-Bissau aufgeführt. Sie haben jetzt über Reaktionen in Guinea-Bissau gesprochen. Wie waren die Reaktionen in Spanien und Portugal?

Abdulai Sila: Die waren ganz ähnlich. Überall, wo das Stück aufgeführt wurde, waren die Säle voll. Die Leute sind massenweise gekommen und das Stück wurde gut aufgenommen. Außer in Angola.

_Wie war das in Angola?

Abdulai Sila: In Angola wurde die Aufführung des Stücks verboten. Das war eine sehr traurige Situation. Die Gruppe war mehr als eine Woche dort, probte – wie es sich gehört - und am Tag der Aufführung bekam sie drei Stunden vorher von der Regierung schriftlich mitgeteilt, dass sie nicht spielen dürfte. Das kam natürlich für alle überraschend. Die Argumente, die angeführt wurden, haben niemanden überzeugt. Aber die Machthaber hatten entschieden, dass das Stück nicht aufgeführt werden durfte und es wurde nicht aufgeführt.

_Obwohl ja auch angolanische Schauspieler bei der Gruppe dabei waren.

Abdulai Sila: Ja, die Schauspieler kamen aus São Tomé, Brasilien, Mosambik, Portugal, und es waren auch drei angolanische Schauspieler dabei. Und Sie können sich vorstellen, wie die sich gefühlt haben, nachdem sie in den verschiedenen Ländern aufgetreten sind und dann ins eigene Land kamen und das Ergebnis von mehreren Monate Arbeit nicht präsentieren konnten. Das war eine sehr traurige Erfahrung.

_Abdulai, ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg für Ihre Arbeit und weiterhin viel Mut.

Abdulai Sila: Danke

 


ist der erste unabhängige Literaturverlag in Guine-Bissau, der 1994 von Fafali Kudawo, Abdulai Sila und Teresa Montenegro gegründet wurde.
http://www.kusimon.com


Abdulai Sila, Frankfurter Buchmesse 2014. Foto: Renate Heß (c)

Abdulai Sila wurde 1958 in Catió, im Süden Guinea-Bissaus geboren, hat in Dresden Elektrotechnik studiert und leitet neben dem Ku Si Mon Verlag ein Telekommunikationsunternehmen in Bissau. Er ist Autor des ersten in Guinea-Bissau veröffentlichten Romans »Eterna Paixão« und auch einer der bekanntesten Schriftsteller des Landes.

Zuletzt veröffentlichte er die Kommödie »Dois Tiros e uma gargalhada«


Renate Heß ist Übersetzerin, Moderatorin und Mitarbeiterin der Sendung »RaDar Latino« bei Radio Darmstadt
Auf novacultura veröffentlichte sie zuletzt ein Interview mit dem brasilianischen Dichter Cuti.


Foto links: Petra Noack, TFM; Foto rechte Spalte: Renate Heß