angola . brasil . cabo verde . guiné-bissau . moçambique . portugal . são tomé e príncipe . timor lorosae

14.08.2009

2020-2010 … Luanda?

Rui Zink: O Destino Turístico

Agualusas jüngster, im Mai erschienener Roman (der in Portugal bereits in der dritten Auflage lieferbar ist), führt uns nach Luanda ins Jahr 2020. Und wie immer bei solchen recht kurzfristig terminierten Zukunfstromanen, stellt sich die Frage, wieviel Science und vor allem Fiction enthält er – oder eben doch nicht.

Die Handlung in diesem rasanten Roman spielt sich innerhalb von 24 Stunden ab. Protagonist ist der Schriftsteller und Filmemacher Bartolomeu Falcato, der bereits in As Mulheres do meu Pai eine Rolle spielt. Wie in einem Strudel wirbelt er, nicht immer freiwillig, durch ein Luanda, in dem alles Unmögliche möglich ist: Ein Engel fällt vom Himmel, eine ehemalige Miss Angola beschuldigt die Präsidentin, sie sexuell missbraucht zu haben, Waffenhändler und andere mafiöse Gestalten ringen um Macht und Deutungshoheit über Geschichte und Gegenwart eines Landes, in dem es normal scheint (normal ist!), dass Menschen ihr im Krieg verstümmeltes Gesicht hinter Micky-Maus-Masken verbergen, ein selbsternannter traditioneller Heiler im Auftrag dunkler Mächte und der Regierung (was nicht immer klar zu unterscheiden ist) unbequeme Menschen in einer als Psychiatrie getarnten Anstalt verschwinden lässt. In wilder Jagd treibt es Bartolomeu Falcato durch die Handlung, den mehrstöckigen Untergrund seiner Stadt, durch zerbröselnde Häuserschluchten und die Spelunken der aus allen möglichen Ländern in Angola Hängengebliebenen.

Wer nun glaubt, das alles sei das gern bemühte "Panoptikum", das eine überbordende Fantasie (s. tropisches Barock!) auf das literarische Tableau eines Zukunftsromans gehoben hätte, irrt. Den "traditionellen" Psychiater gibt es wirklich, die vom Kriege verstümmelten sind leidlich bekannt. Das mit dem Waffenhandel, der Mafia und der Regierung muss kaum noch erwähnt werden. Nicht nur in Angola. Selbst für den gefallenen Engel findet sich eine Erklärung am Ende.

Agualusas tropisches Barock hat so gar nichts von der behäbigen Gemütlichkeit in der Sonne dahinschlummernder Altertümer. Sein Luanda ist überbordend, schillernd, grotesk, unzeitgemäß, das alles, aber zugleich leider auch ungeheuer aktuell. Mehr als das: In den neunziger Jahren sprach man in Amerika von der "Brasilianisierung" der Gesellschaft als Schreckensvision für die Zukunft. Das war gestern und vielerorts scheint man dort inzwischen angekommen zu sein. Der Schauplatz dieses Romans ist unverkennbar Luanda 2010. Ein Zukunftsroman könnte es dennoch sein, ist zu befürchten. 

Michael Kegler
 


José Eduardo Agualusa:
Barroco Tropical.
344 páginas
Publ. Dom Quixote, Lisboa 2009

www.agualusa.info