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01.04.2010 brutal Dulce Maria Cardoso erzählt eine böse Geschichte von Macht, Liebe und Menschenverachtung
Doch das Gähnen bleibt einem schon im zweiten Kapitel im Hals stecken, wo eben jener Ehemann mit einer jungen Geliebten in einem Hotelzimmer gerade versucht, diese an den Hotelpagen zu »verleihen«. Eine unerträgliche Situation für den devoten Pagen und erst recht für die Geliebte, die, wie sich später herausstellt, ein Doppelleben führt, und mit den Liebesdiensten am Chef ihren biederen Traum vom normalen Leben zu finanzieren. In einem Anflug von Romantik offenbart sie sich irgendwann ihrem Verlobten. Sie möchte keine Geheimnisse vor der Liebe ihres Lebens haben. Doch der Verlobte dreht durch, beschafft sich eine Waffe und beschließt, den Chef zu erschießen – auf dessen eigener bis ins letzte inszenierten Geburtstagsfeier, vor den Augen der Geschäftspartner, seiner Freunde und der Familie. Brutal ist, dass man sich als Leser irgendwann nur noch nach einen guten Ende der Geschichte sehnt, was zu diesem Zeitpunkt nichts anderes bedeuten kann, als den Tod des übermächtigen, verächtlichen, eiskalten Patrons. So weit bringt einen die Autorin, um dieses »gute« Ende gerade doch nicht zu zelebrieren. Es kommt alles ganz anders … Dulce Maria Cardoso ist eine Meisterin dieser Art von Dramatik. Subtil lenkt sie den Leser auf eine Fährte, die sie in dem Moment, wo es scheinbar kein Entrinnen mehr gibt, abbrechen lässt, um der Handlung eine noch dramatischere Wendung zu geben. Nicht nur im Hauptstrang dieses Romans, sondern auch in den zahlreichen Verästelungen und Zusammenhängen, die sie akribisch herausarbeitet: Scheinbar unbedeutende Lebensgeschichten, Dramen des Alltags, Verzweiflung, Schicksale, wie das der jungen illegalen Hausangestellten, die ihren Körper verkaufen musste, um aus Osteuropa zu fliehen; ähnliche Verzweiflung bei der Tochter des Hauses, die sich in die Hausangestellte verliebt, und sie am Ende doch nicht bekommt, und Ehe der alten Dame, die von Anfang an nichts weiter war als ein Arrangement. Kalkül auf der einen Seite, großes Pech, Unglück auf der anderen, all das hinter tadellosen Fassaden einer Normalität, die schon längst in Trümmern liegt, und immer wieder wünscht man sich beim Lesen, es möge anders kommen, wenigstens eine von ihnen möge einmal Glück haben; manchmal sind sie kurz davor – und dann klappt es um Haaresbreite doch nicht. Wie in einem Strudel und doch zunächst unmerklich verweben sich all diese Leben, Entwürfe, Hoffnungen, auch die emails, über die der Sohn der Familie seine Art von Beziehung führt, zu einer geflechtartigen, großartigen Studie über Macht und Verzweiflung. Und doch, sagt Dulce Maria Cardoso, sei es doch so einfach, einfach nur glücklich zu sein. Für ihren Vorgängerroman Os meus Sentimentos erhielt Dulce Maria Cardoso 2009 den Literaturpreis der europäischen Union. Dies katapultierte sie auch in Portugal aus dem Status eines literarischen Geheimtipps heraus auf die große Bühne des aktuellen Literaturgeschehens. Zu recht, denn Dulce Maria Cardoso ist eine der ganz großen zeitgenössischen Stimmen der portugiesischen Literatur, die zu entdecken sich Zeile für Zeile lohnt. Michael Kegler
Links: http://tsf.sapo.pt/Programas/programa.aspx?content_id=917512&audio_id=1480319 Eine Rezension auf »Contra Mundum« http://contramundumcritica.blogspot.com/2009/12/dulce-maria-cardoso-o-chao-dos-pardais.html |
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