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05.02.2011

Die Quadratur des Verkehrskreisels:

Ein Spiel

Gonçalo M. Tavares: Matteo perdeu o emprego

 

Gonçalo M. Tavares: Matteo perdeu o trabalho

Aaronson war nicht schon immer tot.

Eine gewisse Zeit lang war Aaronson tatsächlich, ohne Übertreibung, ein lebendiges Wesen.

Zwischen seinem siebenundzwanzigsten und seinem dreißigsten Lebensjahr umrundete Aaronson – wie ein besessenes Insekt – einen Verkehrskreisel.

Jeden morgen ...

 

 

 

Matteo perdeu o emprego – Matteo hat seine Arbeit verloren – Mit dem Roman machte sich Gonçalo M. Tavares im Herbst 2010 mehr oder weniger selbst Konkurrenz zu seinem an die Lusiaden angelehnten (und mit entsprechender Begeisterung von der Kritik bereits vor Veröffentlichung gefeierten) Zyklus Viagem à Índia. Doch ebenso wie Camões in Viagem à Índia bestenfalls anklingt, ist »Arbeit« in »Matteo …« ebenfalls lediglich eine wohl platzierte Anspielung, ein Bild wie die vielen anderen, die dieses Buch evoziert: Ein in schwarzweiß gehaltener Kontrapunkt zu der roten, leinengebundenen, Erhabenheit suggerierenden Paraphrase des portugiesischen Nationalepos.

Aaronson - soviel sei vorweg verraten - kommt bei seinem morgentlichen Umrunden der Rotunde irgendwann ums Leben und leitet damit zu einem gewissen Ashley über, der wiederum einem Protagonisten namens Baumann Platz macht, auf den Boimann folgt und dann Camer, Cohen, Diamond und Einhorn. Eine bizarre Geschichte ergibt die nächste, in alphabetischer Reihenfolge und letztendlich doch getreu dem bekannten Motto der Monty Python: »And now to something completely different.«

Glasser etwa, ein Besucher des von Einhorn betriebenen Bordells, hat ein elektrisch betriebenes Herz, dessen Batterie er stets auf einem Karren vor sich herschiebt. Die Prostituierte Goldberg verbindet ihn mit dem blinden Herrn Goldstein, der wiederum seinem Geliebten Gottlieb ein bizarres Periodensystem auf den Rücken tätowieren lässt, woraufhin dieser einen Mann namens Greenberg erschießt und von Greenfield deswegen auf den elektrischen Stuhl geschnallt wird. Greenfield hingegen war nicht immer Justizangestellter sondern arbeitete früher in einem Labor, dessen Direktor, Dr. Helsel, in seiner Freizeit Kakerlaken züchtet - bis zum Tod seines Vaters, woraus sich wieder etwas neues ergibt. Irgendwann kommt dann Matteo, der eigentliche Kurzroman auf doch immerhin 21 Seiten.

In dem etwa darauf folgenden, ein Drittel des Buches ausmachenden, Anhang mit »Erläuterungen« schreibt der Autor in Abschnitt 34.:

Matteo perdeu o emprego könnte an jedem beliebigen Punkt beginnen. Nicht möglich wäre, dass Goldstein der kurzen Erzählung nachfolgte, in der Einhorn vorkommt, denn jede Figur existiert nur, weil die davor existiert und sie in gewisser Weise aufruft, sie aus einer Menge ausdeutet, sie hervorhebt. Wenn der Junge mit dem Buchstaben G seinen Arm hebt und auf den Aufruf reagiert, dann deswegen, weil die Jungen mit den dem G voranstehenden Buchstaben bereits aufgerufen worden sind. Wenn es einen Ordnung in der Welt gibt, kann niemand mit einem Namen, der mit F beginnt, erlöst werden, bevor nicht Goldstein »hier« gerufen hat …

Eine Logik, die sozusagen aus sich selbst erwächst und nach Ermessen (nicht nach Belieben) des Autors auch gezielt gebrochen werden kann. Wo bei Gonçalo Tavares der buchstäblich bittere Ernst beginnt und einen beißenden, subtilen Humor ablöst oder umgekehrt, ist niemals sicher.

Ja, Matteo perdeu o emprego ist stellenweise sehr komisch (in jedem Sinne des Wortes) und deswegen auch sehr weise. Die Sätze darin machen Staunen und zugleich nachdenklich. Manchmal sind sie aber auch nur die Simulation des Bedeutsamen – bisweilen hat man die Wahl. Letztendlich ist es ein Spiel – mit Zeichen, Bedeutungen, Handlungssträngen und Bedeutungsebenen. Ein Spiel das festen Regeln folgt, die in letzter Konsequenz nur der Autor kennt und nach Gutdünken entschlüsselt – oder verschleiert:

Es ist offensichtlich, dass die geometrische Form dieses »Matteo …« der Kreis ist, der mit der Rotunde beginnt und mit der letzten Figur endet, die letztendlich die vorletzte ist: die vor dem kommt, von dem man nicht weiß, was es ist, die vor dem kommt, was noch nicht existiert.

Eine Ellipse vielleicht? Weil das Ende nicht auf den Anfang trifft, und da das Buch nicht bis zum Buchstaben Z gehe, werde ohnehin kein Kreis geschlossen … sagt der Autor. Die Frage – ist es überhaupt eine Frage? – bleibt so im Raum stehen.

Matteo übrigens hat in der Tat seine Arbeit verloren, irgendwann und gleich darauf eine neue gefunden, die er wieder verliert. Aber das ist auch nur eine der vielen Geschichten, die sich von Aaronson bis Nedermeyer aneinander entlanghangeln (um sich am Ende – vielleicht – wieder zu begegnen).

Manche der philosophische Miniaturen und logischen Kunststückchen erinnern an die »Senhores«, andere Szenarien sind klar der »schwarzen Reihe« zuzuordnen. Dass sich das Buch einer Einordnung in die gängigen literarischen Genres versagt, ist bei Gonçalo M. Tavares gewissermaßen Ehrensache. Vielleicht könnte man es in der Tat »Spiel« nennen, so wie er selbst die Prosafragmente aus seinem Band Wasser, Hund, Pferd, Kopf schlicht als »Lieder« bezeichnet.

Illustriert ist das Buch übrigens durchgängig mit Fotos von Schaufensterpuppen. Mit jedem Protagonisten kommt auch ein passbildgroßes »Porträt« einer dieser Puppen hinzu. Weitere Zeichen, deren Bedeutung es zu entschlüsseln gilt, und die nicht sicher zu entschlüsseln sind. Sie könnten die Protagonisten verkörpern. Nein, das wäre zu einfach. Vielleicht etwas ganz anderes. Oder auch gar nichts.

Dr. Helsels Freund Holzberg war ein Architekt, fasziniert von der Figur des Kreises, der zentralen Form jeder Mythologie (…) Diese Faszination brachte ihn dazu (…) eine Rotunde zu bauen, die, wenn man es so nennen will, quadratisch war.

So einfach ist das mit der Quadratur des Kreises. Ein Spiel, wie gesagt. Ein sehr kluges und deswegen extrem unterhaltsames. Und lebte Aaronson noch, wäre er nicht im Kreis gelaufen, sondern im Karree? Und wer ist Matteo?

 

Michael Kegler


Gonçalo M. Tavares, 1970 in Luanda geboren, gehört seit seinem Debüt im Jahr 2001 zu den herausragenden Schriftstellern Portugals und wurde mit zahlreichen bedeutenden portugiesischen und internationalen Literaturpreisen ausgezeichnet. Matteo perdeu o emprego ist sein 28. Buch.

http://goncalomtavares.blogspot.com/

 


Gonçalo M. Tavares:
Matteo perdeu o Emprego

210 páginas.
Ilustrações de Diogo Castro Guimarães e Luis Maria Baptista.
Porto Editora, 2010

 

Auf Deutsch erschien bislang:

Wasser, Hund, Pferd, Kopf

übersetzt von Michael Kegler
Verlag Der Apfel, 2008