angola . brasil . cabo verde . guiné-bissau . moçambique . portugal . são tomé e príncipe . timor lorosae

06.05.2010

Schluss mit Fado!

Paulo Kellerman ist ein Meister der Kurzform, auch wenn er ausgerechnet für den paradoxen Titel Gastar Palavras (Worte verschwenden) 2005 den Grande Prémio do Conto der APE erhielt. Chega de Fado (Schluss mit Fado) ist sein fünftes in einem Verlag erschienenes Werk und sein erstes Konzeptalbum, wenn man so möchte. Und auch hier führt der Titel zunächst in die Irre. Es ist kein Abgesang auf die portugiesische Seele, kein Spiel mit touristischen Klischees, sondern eine Sammlung von Beziehungs-Miniaturen (sollte es dieses Genre in der offiziellen Literaturwissenschaft noch nicht geben, müsste es schleunigst erfunden werden).

Chega de Fado sind 10 mit szenischen Dialogen durchsetzte Kurzgeschichten über je zwei Personen. Kurze Schlaglichter auf Beziehungen, und in jedem dieser Schlaglichter steckt Sprengstoff für einen ganzen Roman: Eine gelangweilte Ehe, Dialoge der Sprachlosigkeit, aussichtslose Konstellationen. So punktgenau aus dem Leben gegriffen, so präzise und realistisch geschildert, dass einem bisweilen ein Schauer über den Rücken läuft:

Sie kommt mit einem dampfenden Teller Suppe und stellt ihn vor mich hin (ich denke mir beiläufig: warum war ich nie in der Lage ihr zu sagen, dass ich Suppe hasse?). Einen Moment lang ist ihr Körper ganz nah bei mir, ihre Brust auf der Höhe meines Gesichts; ich kann ihren Duft spüren und schaue, schon wieder, wie sich ihre Brustwarzen abzeichnen, in Reichweite; ich hätte schon Lust. Aber ich rühre mich nicht, schaue einfach nur weg. Und frage mich, was ist das für eine Verlegenheit, die uns hindert, nach all den Jahren gemeinsamen, geteilten Lebens; oder ist es einfach nur Faulheit?

(...)

Dann sage ich laut: ich glaube, wir sollten uns nicht mehr als Lebewesen bezeichnen; eher als Gewohnheitstiere. Aber sie reagiert nicht, sagt nichts, seufzt nicht einmal; als hätte sie mich nicht gehört. Und dann merke ich, schon überrascht, eher schockiert, dass ich gar nicht laut gesprochen hatte; ich hatte nur geglaubt, es zu sagen.

Sprachlosigkeit, routinierte Gleichgültigkeit, hinter der doch meist eine Sehnsucht nach alter Glut, alter Liebe steckt … Paulo Kellerman schaut genau hinter die Fassade des banalen Aneinander-vorbei-Lebens:

Ich sehe sie die Bücher zusammenräumen und frage mich, ob ich ihr sagen soll, dass es meine sind, dass ich sie gerne behalten würde; dann aber fange ich an, mich in den Kartons zu verlieren, die sie mitgebracht hat; wo hat sie sie her? Aus einem Supermarkt wahrscheinlich; die Verpackung doppellagiger Papierservietten und für extragroße Würstchen und Kekse mit Schokostückchen wird nun die Reste ihres Lebens aufnehmen. Und ich komme nicht umhin traurig zu werden (nicht sehr aber genug); dann aber, also gleich danach, fällt mir ein, dass ich mich ja mit diesen riesigen Kisten voll mit Resten von Leben werde abschleppen müssen, und die Trauer wandelt sich in Unbehagen. Ich seufze unwillkürlich. Ein langer Tag das.

Manche Protagonisten möchte man schütteln. So nah und so greifbar wäre eine andere Wendung der ausweglosen Situation, doch meist erkennt man das eigene Leben wieder und weiß, wie schwierig es ist, in der entscheidenden Situation, nicht das genau falsche zu tun.

Kellerman redet nicht drumherum, und umso mehr schmerzt es, wenn in Chega de Fado so einfache Sätze zu lesen sind wie:

Nach so vielen Jahren Ehe hatten beide das Gefühl, dass es nichts mehr zu sagen gab, nichts mehr zu hören; sie kannten sich intuitiv, keine Überraschungen mehr, keine Enttäuschungen: Schweigen.

Fado ist das Ästhetisieren von Leiden, stilisierte Sehnsucht, verkünstelter Schmerz. Kellermans Chega de Fado ist all das genau nicht. Es ist die nackte und grausame Wahrheit. In seltener Klarheit geschrieben. Ein hartes Stück Literatur.

Michael Kegler


Paulo Kellerman:
Chega de Fado
93 páginas
Deriva Editores, 2010

 

 

Lieferbar sind außerdem:

Gastar Palavras. Deriva Editores, 2005.
Os mundos separados que partilhamos. Deriva Editores, 2007
Silêncios entre nós. Deriva Editores, 2008

Paulo Kellerman (bürgerlich Paulo Frias) wurde 1974 in Leiria geboren, veröffentlichte in Zeitungen und Zeitschriften (unter anderem in dem legendären Supplement DN Jovem), anschließend von 1999 bis 2005 mindestens sechs Werke im Selbstverlag, anschließend bislang weitere 5 Bücher mit »Mikrofiktionen«.

Im Internet:http://agavetadopaulo.blogspot.com/

Ein Interview über Gastar Palavras auf Rua de Baixo:
http://www.ruadebaixo.com/paulo-kellerman.html

Paulo Kellerman apresenta o seu livro no »Região Leiria«