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2014 - die Bücher des Jahres

Das Gastlandjahr Brasiliens auf der Frankfurter Buchmesse mit Dutzenden Neuerscheinungen war 2014 erwartungsgemäß nicht zu toppen. Doch während in Brasilien schon recht bald das Geraune einsetzte, das sei es gewesen, und nichts mehr würde auf Deutsch erscheinen, ging Luiz Ruffato bereits auf seine dritte Deutschlandreise. Im Mai wurde der zweite Band seines fünfbändigen Zyklus Vorläufige Hölle in Deutschland, Österreich und der Schweiz vorgestellt. Im Juni färbte das WM-Fieber auch etwas auf die Literatur ab, mit Lesungen aus diversen Fußballanthologien, sogar einer elektronischen »Single-Auskopplung« aus Der Schwarze Sohn Gottes, und im Herbst erschien dann auch schon der nächste brasilianische Roman, die Salatnächte von Vanessa Barbara. Zuvor hatte bereits Fernando Molica Schwarz, meine Liebe als das wahrscheinlich erste aus dem Portugiesischen übersetzte reine ebook veröffentlicht. Aber warum immer nur Brasilien? Das erste Buch der Saison war die auf der Leipziger Buchmesse vorgestellte Übersetzung des preisgekrönten Romans Myra von Maria Velho da Costa.

Myra, oder zwei Tage Glück (übersetzt von Markus Sahr) erzählt die Geschichte eines russischstämmigen Mädchens, das sich mit dem ramponierten Kampfhund Rambo (den sie Rimbaud nennt) auf eine staubige Odysse durch Portugal begibt. Zwei missbrauchte Seelen irren staunend und ängstlich durch eine Welt, die ihnen bis zum Schluss fremd bleibt. Das Glück, das sie schließlich finden, ist so strahlend wie unwirklich und zerstört sich schließlich ohne ihr Zutun. Ein modernes, grausames Märchen voller Zärtlichkeit und sehr aktueller Bezüge. 2010 wurde der Roman in Portugal unter anderem mit dem Prémio Literário Casino da Póvoa ausgezeichnet.

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Im April veröffentlichte DVA den zweiten Roman aus Gonçalo M. Tavares' Zyklus »O Reino«: Joseph Walsers Maschine (A máquina de Joseph Walser; übers.: Marianne Gareis)

Joseph Walser, Fabrikarbeiter in einer namenlosen Stadt, sammelt akribisch und nach strengen Kriterien kleine Gegenstände aus Metall. Ansonsten verläuft sein Leben unspektakulär in endlosen Stunden vor der Maschine, einer trostlosen Ehe, dem wöchentlichen Würfelspiel mit Arbeitskollegen. Als feindliche Truppen die Stadt besetzen und ein kleiner Unfall an seiner geliebten Maschine für ihn verhängnisvolle Folgen hat, wird sein Leben aus der Bahn geworfen. Nach Jerusalém / Die Versehrten (Übers.: Marianne Gareis; DVA 2012) ein weiterer fast schon Klassiker des portugiesischen Kultautors in deutscher Übersetzung.

Rezensionen:
perlentaucher.de
deutschlandradiokultur
Frankfurter Rundschau
Tagesspiegel
Literaturkritik.de

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Als dritte Übersetzung aus der portugiesischen Literatur und eines weiteren literarischen Schwergewichts erschien im Oktober António Lobo Antunes: Kommission der Tränen, in dessen Mittelpunkt die politischen »Säuberungen« im unabhängigen Angola der 1970er Jahre stehen. Ein bis heute in der Literatur viel zu wenig behandeltes Kapitel der postkolonialen Geschichte nicht nur Angolas, und wie immer, ein düsteres Sittengemälde Angolas und Portugals, in dem die Schatten der Vergangenheit niemals ruhen.

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A propos Angola. Wie berichtet und nicht genug gelobt werden kann, veröffentlichte der Poetenladen-Verlag endlich die länger angekündigte Anthologie neuer und neuester Literatur aus Angola Mögen Pitangas wachsen / Oxalá cresçam pitangas zweisprachig, mit Texten von Adélia Dalomba, Isabel Ferreira, Sónia Gomes, António Gonçalves, Zetho Cunha Gonçalves, Agostinho Neto, Carmo Neto, Roderick Nehone, Tazuary Nkeita, Décio B. Mateus, João Melo, José Luís Mendonça und Arnaldo Santos, herausgegeben von Ineke Phaf-Rheinberger und übersetzt von Barbara Mesquita.

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Aber zurück zu Brasilien. Der zweite Band des fünfbändigen Zyklus »Vorläufige Hölle« von Luiz RuffatoFeindliche Welt dreht sich um ein Armenquartier in Cataguases, Ziel und Ausgangspunkt der Migrationen vom Land in Richtung der strahlenden, elenden Großstadt São Paulo. Zé Pinto ist einer, der es fleißig und skrupellos geschafft hat, sich einen bescheidenen Wohlstand aufzubauen. Nun dämmert er altersschwach vor sich hin, und die Erben warten nur darauf, alles abreißen zu können. Die Bewohner der Gasse sind Durchreisende, nichts hat Bestand, selbst die verklärte Erinnerung an das was war, trügt und zerfällt.

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Im Juni veröffentlichte Edition diá (wo inzwischen diverse brasilianische Titel in digitaler Form wiederveröffentlicht wurden) das wahrscheinlich erste reine e-book einer Übersetzung aus dem Portugiesischen: Schwarz, meine Liebe (Originaltitel: Bandeira negra, Amor), von Fernando Molica, fast ein Krimi über Rio de Janeiro, Rassismus, Polizeigewalt und den Korpsgeist der Institutionen. Drei Jugendliche werden ermordet: arme, schwarze Jugendliche aus der Favela. An einer genaueren Untersuchung hat niemand Interesse. Damit wäre der Fall abgeschlossen, Doch ein Rechtsanwalt und eine weiße Polizeibeamtin setzen sich auf die Spur des leider alltäglichen Verbrechens und gelangen an Informationen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. 

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Eliane Brum: Raimundo und der Ball. CulturBooksEine kleine Überraschung war, als ebenfalls im Juni und noch während der Fußballweltmeisterschaft der CulturBooks-Verlag, der sich, wie diá, auf ebooks spezialisiert hat, eine »Single-Auskopplung« aus der erfolgreichen Fußball-Anthologie Der schwarze Sohn Gottes herausbrachte: Die 35 Seiten lange Erzählung Raimundo und der Ball von Eliane Brum, die bereits in den Rezensionen der Anthologie mehrfach begeistert hervorgehoben wurde. Die Geschichte »erzählt von den vielen kleinen Verführungen der Zivilisation, die sich schleichend im Paradies einnisten und irreversible Schäden anrichten« schreibt Andrea Breuer auf danares.org.

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Im Herbst erschien schließlich bei A1 der bereits in Brasilien hoch gelobte Roman von Vanessa Barbara, einer weiteren hochinteressanten Stimme der jungen brasilianischen Literatur: Salatnächte (Noites de Alface, übersetzt von Marianne Gareis), ein verschrobenes Psychogramm einer Kleinstadt, in der jeder jeden kennt, und alle eine Macke haben. Von Anfang an gibt es eine fast unmerkliche Fährte zu dem »Zwischenfall«, einem Mord, und schließlich laufen sämtliche Fäden genial zusammen und scheinbar absurde Handlungen erlangen ihren Sinn.



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Maria Velho da Costa
Myra. Oder zwei Tage Glück

Übersetzt von Markus Sahr
160 Seiten. Leipziger Literaturverlag
ISBN 978-3-86660-181-9

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Gonçalo M. Tavares: 
Joseph Walsers Maschine

Übersetzt von Marianne Gareis
176 Seiten. DVA
ISBN 978-3-421-04627-7
Leseprobe

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António Lobo Antunes:
Kommission der Tränen
Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann
Luchterhand Literaturverlag, 384 Seiten
ISBN: 978-3-630-87423-4
Leseprobe

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Mögen Pitangas wachsen
Oxalá cresçam pitangas

Literatur aus Angola. Ein zweisprachiges Lesebuch
Herausgegeben von Ineke Phaf-Rheinberger, übersetzt von Barbara Mesquita
244 Seiten, Poetenladen
ISBN 978-3-940691-55-2

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Luiz Ruffato:

Feindliche Welt
Übersetzt von Michael Kegler
Assoziation A, 192 Seiten
ISBN 978-3-86241-430-7
Leseprobe im Perlentaucher

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Fernando Molica:
Schwarz, meine Liebe
Übersetzt von Michael Kegler
ebook, Edition diá
ISBN epub: 9-783-86034-539-9
ISBN mobi: 9-783-86034-639-6

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Eliane Brum: Raimundo und der Ball. CulturBooks

Eliane Brum:
Raimundo und der Ball
Übers.:Michael Kegler
ebook, CulturBooks
ISBN: 978-3-944818-53-5

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Vanessa Barbara:
Salatnächte
Übersetzt von Marianne Gareis
176 Seiten, A1-Verlag
ISBN 978-3-940666-54-3

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