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Cataguases, Einwanderung und die Arbeitswelt
Der brasilianische Schriftsteller Luiz Ruffato im Interview mit Albert von Brunn

Brasilien ist Top: mit diesen Worten beschreiben die Vertreter der Literarischen Agentur Mertin, Vertreterin einer Großzahl brasilianischer Autoren in Deutschland, ihren Erfolg an der diesjährigen Buchmesse: plötzlich interessieren sich zahlreiche deutsche Verleger für die Schriftsteller aus dem größten portugiesisch sprechenden Land der Welt. Die Nationalbibliothek in Rio de Janeiro hatte im Vorfeld der Buchmesse elf Autoren eingeladen, die drei Generationen brasilianischer Schriftsteller repräsentieren, so Milton Hatoum aus Manaus, Luiz Ruffato aus Cataguases in Minas Gerais und João Paulo Cuenca aus Rio de Janeiro, die alle zusammen im Presseclub der Stadt Frankfurt (Palais Livingston) am Freitagabend einem begeisterten Publikum vorgestellt wurden, das den Saal bis zum Bersten gefüllt hatte.

1961 in Cataguases geboren, stammt Luiz Ruffato aus einer Familie armer Einwanderer. Die Mutter hatte italienische Wurzeln, der Vater stammt von Portugiesen ab. Nachdem er eine Zeit lang als Verkäufer gearbeitet hatte, zog er nach Juiz de Fora, wo er tagsüber als Textilarbeiter und Mechaniker arbeitet und abends an der Universität Journalismus studierte. Entscheiden war für ihn die Begegnung mit der brasilianischen Avantgarde. Seine Heimatstadt Cataguases nimmt in der brasilianischen Literaturlandschaft eine Sonderstellung ein, denn dort entstand die frechste und furchtloseste Gruppe des brasilianischen Modernismus, rund um die Zeitschrift Revista Verde, die von 1927 bis 1929 erschien. Viele Jahre später widmete Luiz Ruffato dieser Gruppe ein Buch, genannt Die Asse von Cataguases. (Ruffato, Luiz. Os Ases de Cataguases: uma história dos primórdios do Modernismo. Cataguases: Instituto Francisco de Souza Peixoto, 2002.) In diesem Jahr erschien zur Frankfurter Buchmesse sein erster Roman auf Deutsch unter dem Titel Es waren viele Pferde (Ruffato, Luiz. Es waren viele Pferde. Aus dem Portugiesischen von Michael Kegler. Berlin: Assoziation A, 2012.). Im Presseclub in Frankfurt gewährte Luiz Ruffato Nova Cultura folgendes Interview:

– Luiz, wie haben Sie die Großstadt São Paulo erlebt, nachdem Sie Ihre ganze Jugend in Minas Gerais, in Kleinstädten verbracht hatten?

Ich kam nach São Paulo unter besonderen Umständen, denn ich wollte dort als Journalist arbeiten. Ich war nicht mehr ganz jung, und die Megacity war für mich etwas völlig Neues. Sie eröffnete mir die Möglichkeit, einer misslichen finanziellen Lage zu entkommen und ein besseres Leben zu führen. Gleichzeitig wollte ich auch meine berufliche Qualifikation verbessern. Ich kam 1980 nach São Paulo und schlief zunächst einen Monat lang am Busbahnhof. Dies bedeutete einen radikalen Bruch in meinem Leben, etwas, was meine Großeltern gemacht hatten, als sie aus Italien auswanderten und meine Eltern, als sie Cataguases verließen – es war die dritte Emigration.

Sie haben ein Buch über die Avantgarde-Gruppe rund um die Revista Verde geschrieben. Welches ist Ihre persönliche Beziehung zu dieser Gruppe? Gibt es noch Überlebende dieses Abenteuers?

Ich entstamme einer Arbeiterfamilie und lebte in Arbeiterquartieren. So hatte ich keinerlei Beziehung zu Autoren wie Rosário Fusco oder Francisco Inácio Peixoto, die damals noch in Cataguases lebten. Die Bedeutung dieser Gruppe wurde mir erst klar, als ich Cataguases längst verlassen hatte und diese beiden Schriftsteller bereits tot waren. Ich schrieb das Buch, um die Geschichte des Grupo Verde zu verstehen und mich so in die Tradition dieser Bewegung einzureihen, die meine Heimatstadt geprägt hatte . Es war eine Hommage an die Asse von Cataguases.

– Einer Ihrer Romane, Mamma son tanto felice (2005) hat als Hintergrund die italienische Auswanderung nach Brasilien. Können Sie uns etwas über dieses Buch erzählen?

Mamma son tanto felice ist die Geschichte der brasilianischen Landflucht. Ich ging dabei aus von meiner Familiengeschichte, um dieses Phänomen zu schildern, das den Auftakt bildet zur großen sozialen Umwälzung in meiner Heimat: Brasilien hat sich innerhalb von fünfzig Jahren von einem ländlichen in ein post-urbanes Land verwandelt..

– Luiz, haben Sie Projekte für die Zukunft?

Ich schreibe an einem Roman, der nichts mit dem zu tun hat, was ich bis jetzt gemacht habe. Es geht weder um Brasilien, noch um die Arbeitswelt, aber dennoch um ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt. Es geht um Menschen, die in einem Zwischenreich leben, die also ein Land oder einen Ort verlassen haben und anderswo leben. Sie sind dabei weder am Ausgangspunkt ihrer Reise zu Hause, noch am Zielort, an dem sie sich befinden. Dieser Roman wird Künstliche Blumen (Flores artificiais) heißen.

Luiz Ruffatos erster Roman Es waren viele Pferde
(Eles eram muitos cavalos) erschien soeben in deutscher Übersetzung von Michael Kegler bei Assoziation A.

Vom 13. November an wird Luiz Ruffato eine Lesereise durch Deutschland, Österreich und die Schweiz antreten, wobei er seinen Roman Es waren viele Pferde (Eles eram muitos Cavalos) in Frankfurt, Berlin, München, Worms, Wien, Salzburg, Bern und Zürich vorstellt. So wird das deutschsprachige Publikum einen der bedeutendsten brasilianischen Schriftsteller der Gegenwart kennenlernen, ein erster Schritt im großangelegten Festprogramm zu Ehren der brasilianischen Literatur, das im Gastlandauftritt Brasiliens an der Frankfurter Buchmesse vom 9.-13. Oktober 2013 gipfeln wird.

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