angola . brasil . cabo verde . guiné-bissau . moçambique . portugal . são tomé e príncipe . timor lorosae

Ivo Machado

Junger Mann mit Fagott


Marie Luise Kaschnitz wollte schreiben

um ihre Seele zu retten. Erst versuchte sie es mit Versen,

dann mit Geschichten. Aber es gelang ihr nicht.

Am Ausgang der Oper zu Frankfurt

spielte ein Junge Fagott vor der Gleichgültigkeit

der Welt. Ich blieb stehen, um zu hören.

Niemand liest mich am Ufer des Mains, obwohl

ich weiß, dass man es in Montevideo tut oder Paris,

Bogotá und Luanda, und doch

spreche ich weiter von Bäumen und Fischen und Vögeln

wenn der Tag aufgeht oder die Nacht sich herabsenkt,

wissend, dass dies weder meine Seele rettet

noch die Unordnung mäßigt, noch das Chaos beseitigt.

Nur die Wände aus Glas einer Lyra

lauschten dem Fagott des Jungen vor der Oper.

Ein Künstler sollte nicht Hunger leiden.

Ein Gott sollte ihn zu einem Leuchtfeuer machen,

das die Geduld der Enterbten

unseres beschämten Atems verstummen ließe, oder fast.

Marie Luise Kaschnitz wollte schreiben

um ihre Seele zu retten, und ohne es zu wissen

rettete sie vor dem Unglück letztendlich

– die Harmonie in Gestalt des Fagott eines Jungen vor der Oper.

  

Aus:
Ivo Machado
Quilómetro Zero
Ed. Exodus, Vila Nova da Gaia 2008
Übersetzung: Michael Kegler


Ivo Machado | Foto: Michael Kegler, www.novacultura.deIvo Machado, 1958 auf den Azoren geboren, lebt seit 1987 in Porto.
Dichter seit seinem Debüt im Jahr 1981 mit Alguns Anos de Pastor.
Zuletzt erschien Tamujal. Ed. Exodus 2009
Übersetzungen in zahlreiche europäische Sprachen.
Auf deutsch in der Anthologie hotel ver mar. TFM 2009