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24.11.09

João Paulo Borges Coelho – Chronist eines Landes
Der neue (mit dem Prémio Leya ausgezeichnete) Roman von João Paulo Borges Coelho liegt erst im Manuskript vor und wird vermutlich im kommenden Jahr erscheinen. Die Auszeichnung führt aber hoffentlich dazu, dass der bisher eher als Geheimtipp der mosambikanischen Literatur gehandelte Autor endlich einer etwas breiteren Öffentlichkeit bekannt wird. Schließlich hat er bereits sieben ausgezeichnete Romane verfasst, die allesamt die mosambikanische und subsaharische Geschichte zum Hintergrund haben. Im Mosambik-Rundbrief Nr. 71 erschien 2006 eine Rezension zu seinem Roman Crónica da Rua 513.2, die wir aus gegebenem Anlass (leicht abgewandelt) noch einmal veröffentlichen:

Die Straße Nummer 513.2 ist unspektakulär. Rua da Boa Vista hätte man sie nennen können – hat man aber nicht. Mit ihren von Gärten und Bougainvillien umgebenen Einfamilienhäusern hat sie sich irgendwie zwischen das Meer und ein ärmeres Stadtviertel gedrängt, als wollten ihre portugiesischen Bewohner den Blickkontakt nicht verlieren zu dem Ozean über den sie einstmals gekommen waren. Das war vor der Revolution.

Nun aber drängt das Volk in die Straße, rebellisch und aufgebracht. Schlagworte machen die Runde und Umwälzungen. Auch Vertreibungen und Flucht, Versuche des reaktionären Widerstandes ewiggestriger … Die Revolution ist im Gange im ganzen Land, und auch in der Straße mit dem unspektakulären Namen, der bleibt, weil es keinen alten Helden zugunsten neuer Namen von Sockel und Straßenschild zu stoßen gilt. In der Straße Nr. 513.2 gibt es Wichtigeres: Neue Bewohner ziehen in die verlassenen Häuser der Kolonialisten ein. Andere Weiße sitzen auf gepackten Koffern, manchmal wird ein bisschen nachgeholfen, wenn etwa das Haus des Dr. Pestana dem neuen Parteisekretär gut gefällt. Doch bevor Pestana die Flucht nach Portugal antritt, durchbohrt er Wasser- und Stromleitungen und macht das Haus, das er eigentlich hatte behalten wollen, für die neuen Bewohner schlicht zur Ruine. Der Parteisekretär muss im Haus des faschistischen Inspektors Monteiro wohnen bleiben, und in die Ruine des Arzthauses ziehen später Binnenflüchtlinge ein ohne Papiere. Bewegte Zeiten, verrückte Zeiten, in denen Zeca Ferraz, der Automechaniker plötzlich die Wagen seiner Kunden herrenlos in der Garage stehen hat und Valgy der tatsächlich verrückte indische Melancholiker sein Geschäft in der Innenstadt fast täglich auf neue ökonomische und soziale Gegebenheiten einstellen muss.

Faszinierend ist, neben der ironischen, plaudernden, bisweilen fast Saramagoesk abschweifenden Erzählweise, wie João Paulo Borges Coelho so ganz nebenbei Abstand nimmt von dem seit Ascêncio de Freitas und spätestens Mia Couto etablierten »afrikanisierenden« Duktus mosambikanischer Prosa. Urban ist sein Ausdruck, wie das Ambiente und die Zeit, in der der Roman spielt, in der mit Traditionen (jedweder Couleur) zunächst einmal gebrochen wird.

Doch plötzlich sitzt im Wohnzimmersessel des Parteisekretärs wieder der faschistische Inspektor Monteiro. Im Haus der vielköpfigen Familie eines Angestellten der Bierfabrik mit Beziehungen ins Wohnungsbauministerium lebt weiterhin die frühere Besitzerin, eine gealterte Dirne einstmals »besserer« Kreise, und als der neue halbseidene Geschäftsführer der nunmehr staatlichen Zitrusfrüchteexportgesellschaft in seine Dienstvilla einzieht, scheint es dort auch nicht ganz mit rechten Dingen zuzugehen: Die Geister der Vergangenheit kehren zurück. Erst in Gestalt alter Porträts an den Wänden und in der Phantasie zweier Trunkenbolde, dann in der jener früheren, geflohenen, vertriebenen oder anscheinend doch nicht ganz verschwundenen Bewohner der Straße, die ihren Nachfolgern zunehmend auf die Haut rücken. Und schließlich kommt es doch noch zum großen afrikanischen Zauber, dessen Hintergrund einfach nur der ganz schmutzige Krieg ist, der eigentlich ja ganz abseits der schönen ruhigen Straße mit dem merkwürdigen Namen tobt.

Kurzum: Dem 2006 für sein zweibändiges Werk Índicos, Indícios (Ed. Caminho, Lissabon 2005) mit dem Prémio José Craveirinha ausgezeichneten Historiker João Paulo Borges Coelho ist mit dieser »Chronik« des fiktiven Mikrokosmos der Straße Nr. 513.2 ein großartiges Porträt der ersten Jahre nach der mosambikanischen Unabhängigkeit gelungen: Fragmentarisch und doch konsistent, quer zu ideologischen Interpretationslinien, ironisch, dramatisch, anspielungsreich und nicht frei von Metaphern, vor allem aber erzählerisch einfach brilliant.

Michael Kegler
(Mosambik-Rundbrief 71, 2006)


João Paulo Borges Coelho:

Crónica da Rua 513.2

Editorial Caminho, Lissabon 2006

 

 

Weitere Werke des Autors:

As Duas Sombras do Rio, Editorial Caminho, 2003.

As Visitas do Dr. Valdez, Editorial Caminho, 2004

Índicos Indícios I. Setentrião, Editorial Caminho, 2005

Índicos Indícios II. Meridião, Editorial Caminho, 2005

Campo de Trânsito, Editorial Caminho, 2007

Hinyambaan, Editorial Caminho, 2008