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10.12.2010

Ein Luftschiff und das mondäne Maputo der 1920er Jahre

João Paulo Borges Coelhos Roman O Olho de Hertzog

Als im Spätherbst des Jahres 1917 die deutsche »Schutztruppe« in Ostafrika in ernste Schwierigkeiten geriet, sollte als eine Art letztes Aufgebot ein Luftschiff Munition und Maschinengewehre nach Afrika bringen. Ein irres Stück deutscher Technik- und Kriegsgeschichte, um dessen Scheitern sich bis heute die üblichen Helden-Legenden ranken. Warum und wann genau dieses Afrika-Luftschiff abstürzte, ist nicht gesichert.

In seinem 2009 mit dem Prémio Leya ausgezeichneten Roman O Olho de Hertzog (LeYa, Lissabon/Maputo/Luanda 2010) greift der mosambikanische Schriftsteller João Paulo Borges Coelho diese Leerstelle in der Historiographie auf und lässt das Luftschiff sein Ziel erreichen. Ein Besatzungsmitglied (Hans Marholz, dessen historische Existenz zumindest verbürgt ist) springt (wie ursprünglich geplant) mit dem Fallschirm ab und gelangt mit einem versprengten Rest der »Schutztruppe« nach Mosambik; erst danach lässt auch der Autor den Zeppelin abstürzen.

In einem zweiten Erzählstrang gelangt, zwei Jahre später, ein gewisser »Henry Miller« nach Lourenço Marques. Wie sich herausstellt ist dies kein anderer als eben jener Marholz, der nun unter Pseudonym nach einer Reihe von Personen sucht, die in der quirligen Metropole am Indischen Ozean untergetaucht sind.

Wie in einem Krimi entwickelt sich seine Suche, deren eigentliches Motiv sich erst gegen Ende des Romans erschließt, zu einem rasanten Streifzug durch das Lourenço Marques der beginnenden 20er Jahre, einer Stadt, die so in der Belletristik noch nie beschrieben wurde: Eine brodelnde, fast typische zwanziger-Jahre-Stadt mitten in Afrika, Zufluchtsort für Gestrandete und Untergetauchte aus den Metropolen der Alten Welt, Künstler, Glücksritter, Sinnsucher. Die Klassenkämpfe jener Zeit finden ihren Ausdruck in der Gestalt eines afrikanischen Journalisten und Verlegers, der sich für die Belange der Wanderarbeiter einsetzt (durchaus eine Parallele zu heute).

Im Rückgriff wird immer wieder Marholz’ erste Begegnung mit Afrika geschildert, der buchstäblich fieberhafte Buschkrieg einer verzweifelten »Schutztruppe« - eine andere Annäherung. Historisch verbürgt ist, dass die Truppen des Kommandeurs Lettow-Vorbeck durch den Norden Mosambiks marodierten und ohne Kontakt nach Europa erst Tage nach der offiziellen Kapitulation die Waffen niederlegten. Eine Fußnote der Geschichte, aus der hier ein zweiter Roman wird, der viel vom Leben im mosambikanischen Hinterland jener Zeit erzählt - aus einer klar europäischen Perspektive, allerdings völlig frei von dem sonst in diesem Zusammenhang üblichen Exotismus.

Natürlich ist O Olho de Hertzog auch ein historischer Roman, der vergessene Zusammenhänge und Fakten der subsaharischen und deutschen Geschichte gut recherchiert wiedergibt. Dies würdigte seinerzeit auch die Jury des LeYa-Preises ausdrücklich. Dass dies allerdings nicht das vordringliche Ziel des im Zivilberuf als historiker tätigen Romanautors ist, wird in jeder Zeile deutlich. Der historische Hintergrund bleibt - Hintergrund einer schwindelerregenden Geschichte um Rebellen, Afrikanische Identität und den kulturell brodelnden Schmelztigel Mosambik.

 

Michael Kegler


João Paulo Borges Coelho wurde 1955 in Portugal geboren. Er studierte Geschichte in Maputo und lehrt an der Eduardo Mondlane Universität sowie in Lissabon. Als Schriftsteller debütierte er (nach zwei Comics in den achtziger Jahren) mit dem Roman As duas sombras do rio (Caminho, Lissabon / Ndjira, Maputo 2003), dem bis heute 5 weitere Romane folgten sowie die Erzählbände Índicos indícios I und II. 2005 wurde er mit dem Prémio Craveirinha ausgezeichnet und erhielt für das Manuskript von O Olho de Hertzog 2009 den mit 100.000 Euro dotierten Prémio LeYa der gleichnamigen portugiesischen Verlagsgruppe.

S. auch:
http://novacultura.de/wb/pages/livros/joao-paulo-borges-coelho-cronica-da-rua-513.2.php

 


João Paulo Borges Coelho
O Olho de Hertzog

442 páginas
LeYa, 2010