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24.04.2012

Caio Fernando Abreu im Sternenkreis

Albert von Brunn über
Amanda Costa: 360 graus: 
In
ventário astrológico de Caio Fernando Abreu

amanda costa 360 graus inventário astrológico de caio fernando abreu

Amanda Costa, Astrologin aus Porto Alegre, kannte Caio Fernando Abreu (1948-1996) aus ihrer Heimatstadt, wo sie beide Literaturwissenschaften studierten. Daneben hielt sie sich mit Lektoratsarbeiten bei verschiedenen Verlagen über Wasser. Überall begegnete sie dem Schriftsteller aus Santiago do Boqueirão, den sie 1985, während der Literaturtage in Passo Fundo im Süden Brasiliens näher kennenlernte. Aus der Begegnung entstand eine langjährige Freundschaft und 2008 das Projekt zu einer Masterarbeit, die zugleich eine Hommage an den 1996 verstorbenen Caio Fernando Abreu darstellt.

Ausgehend vom Horoskop seiner literarischen Figuren, rekonstruiert Amand Costa den kreativen Prozess des Autors, der – wie Fernando Pessoa – seine Personen erst im Sternkreis situieren muss, um über sie schreiben zu können. Dieses Verfahren spielt zum ersten Mal in der bislang unübersetzten Erzählung »Triângulo das águas« (1983), deren letzter Abschnitt, »Pela noite« eine nächtliche Odyssee zweier männlicher Protagonisten durch die Unterwelt von São Paulo schildert. Die Odyssee steht im Zeichen des Krebses und die Kapitelüberschriften verweisen auf die Astrologie, während die Namen der Personen, Santiago und Pérsio, aus einem Roman von Julio Cortázar, Die Gewinner 1, stammen.

Besonders faszinierend ist die Interpretation des letzten Romans von Caio, Was geschah wirklich mit Dulce Veiga? 2 aus dem Jahr 1990. Den Rahmen bildet die Suche eines namenlosen Journalisten nach einer verschwundenen Sängerin, Dulce Veiga. Die Astrologie wird im Roman von der jungen Patrícia verkörpert, der besten Freundin von Márcia F., der Tochter der Verschwundenen. Die Suche nach Dulce Veiga verbindet sich im Roman mit der Identitätsfindung des anonymen Journalisten, der unter dem Zeichen des Merkurs eine Reise nach Amazonien antritt. Sein Talisman ist ein Geduldsspiel, ein Labyrinth in der Form eines kleinen Kästchens: die Kunst besteht darin, den Quecksilbertropfen (Mercúrio) in die Mitte zu bugsieren, was schliesslich gelingt. Ein Labyrinth ist zugleich die Megacity São Paulo, die es zu überwinden gilt, um sich selbst und die verschwundene Sängerin wiederzufinden.

Die Idee des Zyklus, einer Odyssee von 360° bis zurück zum Ausgangspunkt, beherrscht das literarische Schaffen von Caio Fernando Abreu und mit ihm die Vorstellung von der Welt als ständige Veränderung, als Tod und Auferstehung, als ewige Wiederkehr, ganz im Sinne des rumänischen Religionsforschers Mircea Eliade3, den Caio Fernando Abreu bei der Dichterin Hilda Hilst studierte, die ihn in den Jahren 1969-70 in ihrem Landhaus in der Nähe von Campinas (SP) vor der Polizei versteckte. Von diesem Moment an begann die Astrologie Caios Leben und Schaffen immer stärker zu beherrschen: sie war ein Mittel, um Personen und Situationen in seinen Erzählungen zu konstruieren und wohl auch ein Heilmittel gegen den Writer’s block, die panische Angst vor dem weißen Blatt.

Leider war es Caio Fernando Abreu nicht vergönnt, seinen letzten Romanzyklus zu Ende zu schreiben, die Rückkehr von Dulce Veiga nach São Paulo, von der nicht einmal eine Skizze erhalten ist. Die brasilianische Kritik hat sich lange geweigert, Caio Fernando Abreu als einen Schriftsteller im Sternkreis zu verstehen. Das Buch von Amanda Costa bietet einen neuen Ansatz zum Verständnis eines der wichtigsten brasilianischen Autoren des 20. Jahrhunderts, der mit Hilfe der Astrologie und anderer Quellen der Inspiration eine bis anhin unbekannte Sichtweise auf die Dinge in der brasilianischen Literatur entwickelt hat. Zum Brasilien-Schwerpunkt 2013 wäre es an der Zeit, Caio Fernando Abreu neu zu entdecken. Das Buch von Amanda Costa bietet dazu eine Gelegenheit.

1)Cortázar, Julio. Die Gewinner. Aus dem Spanischen von Christa Wegen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1988.

2)Abreu, Caio Fernando. Was geschah wirklich mit Dulce Veiga? Ein Low-Budget-Roman. Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Gert Hilger. Berlin: Edition diá, 1994.

3)Eliade, Mircea. Der Mythos der ewigen Wiederkehr. Aus dem Französischen von Günther Spaltmann. Düsseldorf: Edition Diederich, 1953.

Albert von Brunn (Zürich)
schrieb zuletzt auf novacultura.de über
Clarabóia von José Saramago

 


360 graus

Amanda Costa
360 graus: Inventário astrológico de Caio Fernando Abreu.

308 páginas
Porto Alegre: Editora Libretos, 2011