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Minha Primeira Vez
Crônicas von Luiz Ruffato

rezensiert von Albert von Brunn

Luiz Ruffato, in Deutschland vor allem als Autor des Romans Es waren viele Pferde (Berlin: Assoziation A, 2012) bekannt, hat in diesem Sammelband seine Crônicas, Aufsätze, Essays und kleine Geschichten zusammengetragen die er von 2007 bis 2013 für die angolanische Zeitschrift África 21 und seit 2013 für die brasilianische Version der spanischen Tageszeitung El País verfasste. Die Gattung der Crônica hat in Brasilien eine lange Tradition. Sie geht auf das 19. Jahrhundert und den Begründer der modernen brasilianischen Literatur, Joaquim Maria Machado de Assis (1839-1908), zurück. Seit ihren Anfängen ist sie Ausdruck eines literarischen und politischen Engagements des schreibenden Intellektuellen, der zu Tagesthemen ebenso Stellung nimmt wie zu philosophischen Fragen, dies mit den Mitteln des Essays und der Kürzestgeschichte.

Luiz Ruffato beginnt seinen Essayband mit einem Selbstporträt (Sabe com quem está falando, SS. 11-13 / El País, November 2013), einer Formel, die in seinem Heimatland Ausdruck selbstgerechter Arroganz ist, hier aber das Gegenteil bedeutet: Luiz Ruffato stellt sich seinem Publikum als Schriftsteller bescheidenster Herkunft vor (der Vater verkaufte Popcorn, die Mutter war Wäscherin). Er schildert seinen Werdegang vom Werkstudenten, der Journalismus mit der Arbeit in einer Textilfabrik verband, seinen Umzug nach São Paulo bis zu seinem Durchbruch. Es folgt ein Artikel über die Vermittler brasilianischer Literatur im Ausland, die in Brasilien selbst wenig Dankbarkeit erfahren haben – Malcolm Silverman, Ray-Güde Mertin und Jacques Thiériot (A ingratidão cultivada, SS.23-28 / Jornal Rascunho, 2009). Mehrmals beschäftigt sich Luiz Ruffato mit seiner Heimatstadt Cataguases, einer Wiege des brasilianischen Modernismo, wo eine Gruppe von Schülern und Studenten in den zwanziger Jahren die Zeitschrift Verde (1927-1929) lancierte, Ausdruck einer avantgardistischen Strömung, der sich Luiz Ruffato bis heute verbunden fühlt. Mehrere Texte beschäftigen sich mit den Reisen des Autors, so nach Portugal, Galizien und auf Lenins Spuren nach Helsinki und Zürich. Die Titelgeschichte, Minha primeira vez (SS. 83-89 / El País, März 2014) schildert die erste Begegnung des Schülers Luiz mit dem Buch in einem riesengrossen, leeren Saal des Colégio Cataguases, der Schulbibliothek. Die Bibliothekarin drückt dem Teenager ein Buch nach dem anderen in die Hand, mit der Auflage, es zu lesen und in fünf Tagen zurückzubringen.

Zusammen mit dem Band Flores artificiais vermittelt Minha primeira vez einen Einblick in die vielgestaltige Welt des brasilianischen Schriftstellers Luiz Ruffato, seine Reisefreudigkeit, seine Herkunft und seine literarischen Vorbilder. Es wäre an der Zeit, eine Auswahl dieser Essays und Geschichten dem deutschen Publikum in einem Sammelband zugänglich zu machen.

Albert von Brunn (Zürich, 01.05.2015)

 

 

Luiz Ruffato
Minha primeira vez.
Arquipélago Editorial, 2014. 189 páginas

Albert von Brunn (Zürich) schreibt regelmäßig auf www.novacultura.de, zuletzt über Wilson R.: O homem da Capadócia


Luiz Ruffato auf El País:
Luiz Ruffato (c) El País

http://brasil.elpais.com/autor/luiz_fernando_ruffato_de_souza/a/


in deutscher Übersetzung lieferbar:

Es waren viele Pferde
Assoziation A, 2012

Mama, es geht mir gut
Assoziation A, 2013

Feindliche Welt
Assoziation A, 2014

in Kürze:

Ich war in Lissabon und dachte an dich
Assoziation A, 2015